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Toxische Blindheit in Sachen Judenhass

Zuverlässig finden alljährlich um diese Zeit Ausschreitungen junger Araber in Jerusalem statt. Am Beginn, während und am Ende des Ramadan. Haben die Israelis Pech, dann starten Hamas und Islamischer Dschihad aus dem Gaza-Streifen einen Raketenbeschuss. Auf das, was arabische Jugendliche in Israel veranstalten, haben wir wenig Einfluss, auch wenn wir endlich durchsetzen könnten, dass Finanztransfers an Palästinenser nur unter der Bedingung erfolgen, dass Antisemitismus aus den arabischen Schulbüchern verschwindet und Rentenzahlungen an Terroristen unterbleiben.

Doch das, was hierzulande geschieht, können wir beeinflussen. Am vergangenen Wochenende marschierten einige hundert junge Araber Seite an Seite mit Linksextremisten in Berlin mehrfach durch Kreuzberg und Neukölln, attackierten Journalisten und brüllten juden- und israelfeindliche Parolen. Innenministerin Faeser twitterte sinngemäß, dass Judenfeindschaft keinen Platz in Deutschland habe und „wir“ uns nicht an sie gewöhnen dürften. Wo hat Nancy Faeser die letzten zwanzig Jahre gelebt? Sind ihr die jährlichen Al-Kuds-Demos in Berlin entgangen? Wieso taucht sie ohne den leisesten Protest anzumelden bei einer Preisverleihung neben dem Rapper Massiv auf, der in der Vergangenheit durch juden- und israelfeindliche Texte aufgefallen ist und auch schon mal Islamisten verherrlicht? Natürlich hat die Innenministerin von all dem nichts gewusst!

Ermöglicht haben die judenfeindlichen Ausschreitungen, die wir dieser Tage zum x-ten Mal erlebt haben, eine geradezu betonierte Ignoranz, das Hilflos-sein-wollen, die gezielte Unterlassung gepaart mit Feigheit gegenüber dem Querfront-Phänomen Judenhass, die eine Reihe Politiker und Behörden seit Jahrzehnten kultivieren. Kürzlich hat der Verfassungsschutz Antisemitismus bei Rechtsextremisten, bei Islamisten, bei Linksextremisten und in der Mitte der Gesellschaft – die „Initiative GG 5.3, Weltoffenheit“ lässt grüßen – festgestellt, womit er bestätigte, was seriöse Antisemitismusforscher, Wissenschaftler und Publizisten seit fast zwanzig Jahren sagen und schreiben.

Nancy Faeser trägt Scheuklappen. Rechtsextremismus stellt zweifellos ein Problem dar. Die liberale Demokratie wird aber von drei Seiten angefochten, nicht nur von einer. Islamismus, der legalistische wie der gewaltbereite, und Linksextremismus fordern Demokratie und Rechtsstaat ebenso heraus. Am Wochenende war auch dies in Berlin zu beobachten. Jedes Mal, wenn Rechtsterroristen morden, geraten Islamisten und Linksextremisten aus dem Blickfeld und vice versa. Das ist insofern grotesk, als nicht so furchtbar viel dazu gehört, die Querverstrebungen  zwischen allen drei Extremismen auszumachen. Historisch wie aktuell. Es ist kein Zufall, dass die Drillinge allesamt Putinisten sind. Ramsan Kadyrow ist Putins Islamkonferenz. Heute töten seine Truppen gemeinsam mit der russischen Armee ukrainische Zivilisten.

Es wäre an der Zeit, dass die Innenministerin ihr Augenmerk auf alle drei Extremismen lenkt. Will sie mehr gegen Antisemitismus unternehmen als bloß Floskeln twittern, wird sie ihre Agenda erweitern und sich von ein paar liebgewonnenen Irrtümern verabschieden müssen.