Bei vielen Linken waren die Vereinigten Staaten lange Zeit propagandistisch als „Weltpolizist“ verschrien und genoss die liberale Demokratie im Allgemeinen wenig Ansehen. Gegen Russlands Bombardement in Syrien gab es naturgemäß keine Demonstrationen friedensbewegter Linker. Über Putins gegenwärtigen Angriffskrieg gegen die Ukraine wiederum sind auch viele Linke bestürzt. Ob es das endgültige Ende linker Illusionen ist – das des Kalten Kriegs hat offenkundig nicht ausgereicht -, bleibt abzuwarten. Sein Anfang ist es in jedem Fall.
Falls sich bewahrheitet, dass russisches Militär über Funk das gezielte Töten der ukrainischen Zivilbevölkerung koordiniert, weil dieses Morden zur Militärstrategie von Putins Truppen gehört, sollten die liberalen Demokratien Europas auch militärisch eingreifen können. Die Nato ist ein militärisches Verteidigungsbündnis und kann hier nicht handeln. Denn die Ukraine ist – das hat u. a. die Altkanzlerin verhindert – kein Mitglied. Da das für Schweden und Finnland ebenfalls zutrifft, könnte die Nato auch für sie wenig tun. Die UNO wiederum hat sich mit ihrer Aufnahme diktatorischer und totalitärer Staaten selbst blockiert. Sie befindet sich in puncto Handlungsfähigkeit auf dem gleichen Niveau wie einst der Völkerbund, ihr Vorgänger, der gegen Hitler, Mussolini, Franco et al ebenfalls nichts auszurichten vermochte. Überdies sind die Verfahren fragwürdig, durch die UN-Resolutionen zustande kommen. Israel kann ein Lied davon singen. Mit der Veto-Macht Putin-Russland im UN-Sicherheitsrat ist das Gremium gelähmt. Wolodymyr Selenskyi, der Präsident der Ukraine, hat ihm das jüngst in wünschenswert klaren Worten verdeutlicht. Auch wenn Russland gestern aus dem UN-Menschenrechtsrat ausgeschlossen wurde – dass dieses Land nach den vielen Morden an Kreml-Kritikern überhaupt noch drin war, ist ein Skandal -, ändert das nichts an der handgreiflichen Bedrohlichkeit einer von Putin geführten Nuklearmacht für den Westen.
Mitten in Europa wird seit dem 24. Februar 2022 vom russischen Militär ein Kriegsverbrechen nach dem anderen begangen. Die Grausamkeit steigert sich von Mal zu Mal. Eine völkerrechtlich fundierte Sicherheitspolitik, die es erlauben würde, auch militärisch einzugreifen, das Morden von Putins Truppen zu beenden und den Rückzug des russischen Militärs aus dem Territorium der Ukraine zu erzwingen, existiert nicht. Wir können nur Wirtschaftssanktionen verhängen, Gelder an die Ukraine überweisen, Waffen liefern, humanitäre Hilfe leisten, ukrainische Kriegsflüchtlinge willkommen heißen. Das ist abgesehen vom deutschen Phlegma bei den Waffenlieferungen eine Menge, keine Frage, aber eben nicht genug. Hören und sehen zu müssen, dass Tag für Tag Ukrainerinnen vergewaltigt und Zivilisten beiderlei Geschlechts vom Kind bis zum Greis ermordet werden, sogar Schwangere und Gebärende unter Beschuss geraten und und und …, ohne eine Möglichkeit zu haben, all das zu stoppen, macht wütend und traurig. Es muss nicht dabei bleiben.
Gesucht wird eine demokratisch-rechtsstaatlich legitimierte Instanz, ein Gremium, zu dem ausschließlich stabile liberale Demokratien Zutritt haben und das ausschließlich für den Schutz liberaler Demokratien agiert. Ein solches Gremium muss den paralysierten UN-Sicherheitsrat ersetzen. Das beste Völker(straf)recht ist sinnlos, wenn es sich nicht durchsetzen lässt. Weder müsste ein entsprechendes Gremium ständig tagen noch bräuchte es eines bürokratischen Apparats. Es genügt, wenn seine Mitglieder im Ernstfall zusammentreten, für völkerrechtliche Legitimation sorgen, die Finanzierung sicherstellen, das Truppenaufkommen koordinieren und sich auf ein Prozedere des Eingreifens einigen. Voraussetzung: Es handelt sich nachweisbar um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf einen freiheitlich-demokratischen Staat, der als solcher beseitigt werden soll. Für die Ukraine käme das jetzt zu spät. Aber was ist mit Georgien, was mit Taiwan, Israel beispielsweise, das vom Iran bedroht wird, die nicht den Schutz der Nato genießen? Eine Weltpolizei zur militärischen Verteidigung liberaler Demokratien ist nötiger denn je.