Moralischer Rigorismus, Selbstviktimisierung, Opferkult oder Obsessivität zählen nicht zum Grundgerüst westlicher Gesellschaften, sind aber Teil ihrer religiösen und politisch-ideologischen Erbschaften, weshalb sie in ihnen immer mal wieder wortmächtig hervortreten, aber glücklicherweise nicht unwidersprochen bleiben. Zuverlässig kann man sie im rechten, linken oder islamistischen Spektrum ausmachen und gelegentlich auch in der viel beschworenen Mitte der Gesellschaft, etwa in radikalen Gruppen der Klimaschutzbewegung – man denke an Extinction Rebellion oder den antikapitalistischen Slogan „Systemwandel statt Klimawandel“, mit dem linksextreme Aktivisten die Fridays for Future-Demonstrationen zu unterwandern versuchten.
Zu Recht haben Kritiker in diesem Zusammenhang auf stark religiös angehauchte Momente von Weltuntergangsszenarien und Errettungshoffnungen hingewiesen. Ungemütlich und manchmal gefährlich wird das in dem Augenblick, in dem der unbestreitbare Klimawandel moralisiert und mit dem individuellen Verhalten von Menschen verkoppelt wird. Verzichts- und Verbotsdebatten haben diese Tendenz.
Gleichfalls unbestreitbar ist, dass entscheidungsfähige Politiker der letzten beiden Jahrzehnte zu wenig gehandelt haben. Die Fridays for Future-Demonstrationen waren deshalb berechtigt. Wenden sich Klimaaktivisten aber gegen Demokratie und soziale Marktwirtschaft, überschreiten sie die Grenze des Akzeptablen. Wirkungsvoller scheint es mir zu sein, die Kraft und Energie von Schülern und Jugendlichen in Umweltprojekte, ins Entwickeln und Erproben grüner Technologien umzuleiten. Demonstrieren können und sollten klimabewegte Schüler weiterhin, allerdings nach Schulschluss. Denn mit künftigen Schulstreiks schaden sich junge Aktivisten am Ende nur selbst. Mediale Aufmerksamkeit und Gehör bei Politikern haben sie bereits gefunden. Einige junge Klimabewegte sitzen inzwischen im Parlament und können das Handeln auf diesem Parkett forcieren. Es war gut, dass sich kein/e Kanzlerkanditat/in im letzten Wahlkampf durch den Hungerstreik von Klimaaktivisten hat erpressen lassen. „Hungern fürs Klima“ ist so geistreich wie „Essen gegen Rechts“.
Es kommt jetzt auf den Einfallsreichtum von Lehrerkollegien an, das Thema Klimaschutz mit fächerübergreifenden Projekten zu verbinden, die so attraktiv sind, dass kein Klimaaktivist sie mehr versäumen möchte. Es gibt mit Sicherheit Firmen und Startups in der Umgebung, mit denen Schulen diesbezüglich kooperieren könnten. Im Schnitt betrifft das Thema ohnehin vor allem die gymnasiale Oberstufe.
Anders gesagt: Gefördert werden sollte der Hunger nach praktikablen Lösungsvorschlägen. Kids und Jugendliche werden eingebunden, wenn sie dies gemeinsam mit Erwachsenen tun. Ohnmachtsgefühle und Hilflosigkeit, die aggressiv machen und zu selbstschädigendem Verhalten führen – siehe Hungerstreik -, können dann gar nicht erst entstehen.