Zum Inhalt springen

Warum längst geklärte Fragen zum Holocaust unnötigerweise erneut die Feuilletons beschäftigen

Weil Jürgen Zimmerer, Dirk A. Moses und zuletzt auch Michael Rothberg nun unterstützt von Jan und Aleida Assmann nicht bereit sind, erstens wissenschaftlich erwiesene historische Fakten zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren. Zweitens weil sie keine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern einen politisch-ideologischen Kampf führen.

Über Dirk A. Moses‘ politisch-ideologische Propagandaschriften ist in den letzten Wochen alles Wesentliche gesagt worden („Professor Moses und die Judenfrage. Zur Fiktion eines philosemitischen ‚Katechismus der Deutschen‘ in der ‚Geschichte der Gegenwart‘. Der ‚neue Historikerstreit‘ und seine fiktionale Basis“ Essay von Rolf Füllmann
https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=28249

https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/erinnerungspolitische-querfront/ )

Moses‘ schwerfällige Attacken sind noch nicht einmal eine geistreiche Polemik, an deren Eloquenz man sich freuen oder deren geistreiche Wendungen man bewundern könnte. Es geht um einen politisch-ideologischen Machtkampf an Universitäten, den eine Handvoll gestriger Geister, die sich für „progressiv“ halten, in der Bundesrepublik angestrengt hat. Seit Jahren hält sie ihn am Laufen. Seine Instrumente sind die Mobilisierung mittels Offener Briefe, Unterschriftenaktionen, wissenschaftlich wenig substantieller Feuilletonbeiträge – siehe Aleida Assmanns Artikel -, Personal-, Tagungs- und Vortragspolitik. Die Migrationsforscherin Sandra Kostner nennt diese bestenfalls lose miteinander vernetzten Stelleninhaber mit einigem Recht „Agendawissenschaftler“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Sandra_Kostner).

Es hat einen einzigen kolonialen Genozid gegeben und das war der Völkermord an den Herero und Nama durch deutsche Schutztruppen zwischen 1904 und 1908. Nicht jeder Massenmord ist ein Genozid. Und Genozide wiederum unterscheiden sich voneinander teilweise erheblich. Aus einer moralischen, schöner formuliert: ethischen Perspektive betrachtet, sind alle diese Genozide gleich, weil gleich schlimm. Es verbietet sich aus dieser Perspektive, eine Rangordung vorzunehmen. Wer diese Genozide allerdings wissenschaftlich erforschen will, muss nach ihrem Zustandekommen, ihren Vollzügen und ihrem Ausmaß fragen und schon alleine deshalb Unterscheidungen vornehmen, die sich auf moralisch-ethischer Ebene verbieten. Wer die Gefahr von Genoziden wiederum politisch ausschließen will, muss naturgemäß erneut andere Maßstäbe anlegen, Maßnahmen beschließen und Entscheidungen treffen. Es handelt sich folglich um wenigstens drei verschiedene Schuh!

Darüber hinaus gab es ungezählte koloniale Massaker und andere mörderische Gräueltaten auf dem afrikanischen Kontinent durch europäische Kolonialmächte wie Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Niederlande, Portugal, Spanien und Deutschland. Aber erstens ist das nur ein Teil Europas und zweitens war ein anderer Teil jahrhundertelang seinerseits durch das Osmanische Reich kolonialisiert. Drittens haben sich die kolonialisierenden Gesellschaften Europas so wenig für die kolonialisierten Gesellschaften in Afrika interessiert wie diese umgekehrt für die Massengewalt und die Massaker innerhalb der kolonialisierenden Gesellschaften Europas. Dass beispielsweise ein Politiker und Unabhängigkeitskämpfer wie Frantz Fanon konkretes Wissen über die „bloodlands“ und die Shoah gehabt hätte, das ihm ernst zu nehmende Vergleiche und Schlussfolgerungen erlauben würde, darf bezweifelt werden, weshalb er diesbezüglich als Referenz für die postkolonialen Studien ausfallen muss. Gleiches gilt selbstredend für W. E. B. Du Bois, AiméCésaire oder gar Ghandi. Noch nicht einmal Hannah Arendt überblickte das Ausmaß von Shoah und innereuropäischer Massengewalt resp. Massenmorden, weshalb sie all das in ihrer seinerzeit brillanten, heute nur noch kritisch lesbaren Totalitarismusstudie aus den fünfziger Jahren nicht adäquat einzuschätzen vermochte.

Zu Aimé Césaires Idee, dass in Weißen potentiell immer ein kleiner Hitler schlummert, hat Heinrich Heine alles gesagt: „Die Weißen haben Christum getötet, laßt uns alle Weißen totschlagen!“ Es ist unerheblich, ob der von Heine zitierte Aufruf eines „schwarzen Fanatikers“  mit einem „Kruzifix“ bei einem Aufstand in den europäischen Überseekolonien faktisch war oder nicht – die Christianisierung von Teilen Afrikas ist es ebenso gewesen wie die Islamisierung -, entscheidend ist vielmehr der implizierte Gottesmordvorwurf schwarzer Sklaven gegenüber weißen Sklavenhaltern. Heine nennt ihn eine „blutige Parodie“. Die simple Tatsache, dass Weiße Schwarzen angetan haben, was Weiße Weißen angetan haben, was Schwarze Schwarzen angetan haben, ist auch dann kein geeigneter Rahmen für das Erfassen kolonialen Unrechts, wenn man anerkennt, dass es umgekehrt nie eine Kolonialisierung Weißer durch Schwarze gegeben hat, wohl aber eine Menge weißer Sklaven. Der Schwarz-Weiß-Schematismus und das identitäre Gruppendenken, das noch zutiefst dem 19. Jahrhundert verpflichtet ist, hilft nicht nur niemandem weiter, sondern paralysiert und blockiert sämtliche Auswege.

Viele afrikanische Staaten sind nicht deshalb arm, weil sie eine zeit lang kolonialisiert worden sind, sondern weil die politischen, wirtschaftlichen, juristischen etc. Strukturen – sprich: die Ordnung eines Gemeinwesens – nicht so funktionieren, wie in den seit über einem halben Jahrhundert – genauer gesagt seit über 70 Jahren – westlich geprägten Ländern. Auch der ehemalige Ostblock hat mit Ausnahme von Deutschland, das den unverdienten Vorteil eines westlich geprägten Teils hat, nach wie vor ein gravierendes Armutsproblem. Die Balkanstaaten fallen darunter, aber es käme niemand auf die Idee, die jahrhundertelange Osmanische Kolonialherrschaft dafür verantwortlich zu machen.

Es ist richtig, dass der deutsche Kolonialismus stärker im öffentlichen Bewusstsein verankert werden muss. Es wird aber nicht nur keinem afrikanischen Staat dadurch besser gehen, ich bezweifle auch, dass der Rassismus dadurch abnehmen wird. Die Judenfeindschaft ist schließlich durch die Aufarbeitung der Shoah nicht nur nicht verschwunden, sie nimmt derzeit zu. Das hat viele Gründe. Der Opferneid, den gegenwärtig die Zimmerers, Moses‘, Assmanns und ihre Mitstreiter mit ihrem christlich geprägten, moralischen Rigorismus unablässig schüren, ist nur einer davon.