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Warum die Fürsprecher Nemi El-Hassans die Öffentlichkeit in die Irre führen

Stimmt schon: da ist eine junge Frau, deren Eltern in den 1990er Jahren aus dem Libanon nach Deutschland eingewandert sind, auf dem besten Weg in die Beletage der Republik und ein paar Medienberichte über islamistische Verstrickungen und Antisemitismus machen alles zunichte. So könnte man das sehen. Wirklich? Ich sehe das anders. Erst auf diese Berichte hin räumt die junge Frau früher begangene Fehler ein und beteuert, dass sie Israel nicht hasse. Arye Sharuz Shalicar hat den Vergleich zu einem jungen Rechtsextremisten gezogen https://www.berliner-zeitung.de/news/nemi-el-hassan-und-der-wdr-warum-falsche-toleranz-brandgefaehrlich-ist-li.182711 und gefragt, ob man ihm seine Verfehlungen auch so rasch zu verzeihen bereit gewesen wäre. In den neunziger und frühen Nullerjahren hätte man das zumindest im Ostteil des Landes getan, vermute ich. Damals war ich in Sachen rechtsextremer Alltagskultur und ihrer gesellschaftlichen akzeptanz up to date. Der Wind in Sachen „Gefahr von Rechts“ hat sich bei Politikern, bei Journalisten und bei zivilgesellschaftlichen Initiativen glücklicherweise gedreht. Beim politischen Islam, über den noch viel zu wenige Bescheid wissen, insbesondere unter Politikern, Journalisten und jüngeren Menschen, leider noch nicht.

Denn so wie man in den Neunzigern mit dem staatlichen Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt die rechtsextreme Szene zu etablieren half, anstatt sie zu bekämpfen – die Folgen sehen wir heute -, so verfuhr man über zehn Jahre später mit dem politischen Islam. Geschah immer alles in bester Absicht, gewiss, aber ohne Sachverstand. Es hat vor über 25 Jahren Warner vor den rechtsextremen Strukturen gegeben, die sich durch die staatlichen Maßnahmen verfestigten anstatt sich aufzulösen. Es gibt seit 15 Jahren Warner vor dem politischen Islam, die unermüdlich aufzeigen, wohin es führt, wenn man die Islamverbände fördert, anstatt ihren Einfluss so kleinzuhalten wie es irgend geht. Denn es sind keine religiösen Glaubensgemeinschaften. Sie haben eine politische Agenda, die genau so totalitär ist wie die der Rechtsextremisten. Islamisten versuchen unter dem Deckmantel von Religion, Rechtsextremisten unter dem der Kultur politisch Einfluss zu erlangen.

Nemi El-Hassan stand weder wegen ihrer Herkunft noch weil sie Muslimin ist, im Schlaglicht der Tagespresse, wie das ihre Unterstützer behaupten. Sie entpuppen sich damit als genau das, was sie zu kritisieren vorgeben: als beinharte Identitätspolitiker. Wi im Übrigen diejenigen im WDR, die ihre Personalentscheidungen nach genau diesen Kriterien zu treffen scheinen.

Doch erstens geht es nicht um das, was Nemi El-Hassan ist, sondern um das, was sie über Jahre hinweg und noch bis vor wenigen Wochen immer wieder gesagt, gedichtet, geschrieben und gepostet hat. Es geht um das, was sie tat, tut und mit hoher Wahrscheinlichkeit lediglich aus Opportunitätsgründen und vor allem, weil es die Presse problematisiert hat, zukünftig nicht mehr tun würde. Anders gesagt: Es geht nicht um El-Hassans „Identität“, sondern um ihr Handeln.

Darum stellt zweitens die angebliche  „Hetze gegen Muslime“, die die Fürsprecher El-Hassans seit Monaten der „Springer-Presse“ – schöne altmodische Redeweise, die langsam poetisch wie etwa das Wort „Weiher“ wird  – vorwerfen, vor allem sie selber als Reaktionäre bloß. Der Streit um den Kommunitarismus innerhalb der Linken, der in Frankreich seit den späten 1980er Jahren tobte, und der dem Multikulturalismus zugunsten transkultureller Vorstellungen den Garaus machte, scheint unbemerkt an den Unterstützern vorbeigegangen zu sein.

Drittens stehen viele  der Namen, die sich auf der Unterstützerliste finden, für die in der Öffentlichkeit altbekannte Riege der „Palästinasolidarität“. Ihre Ämter, Preisträgerschaften und ihren erworbenen Ruf, ob nun gut oder schlecht, ist egal, stellen sie in den Dienst eines politischen Aktivismus, der sich mit ihren beruflichen Aufgaben schlecht verträgt. Sie zählen nicht zu den Eliten im engeren Sinn – dazu gehören nur diejenigen, die Entscheidungen von wirklicher Tragweite treffen -, und man gewinnt langsam den Eindruck, dass ihnen das zu schaffen macht. Das hat was Pubertäres. Ob nun in der Debatte um den israelfeindlichen Historiker Achille Mbembe, die „Initiative GG 5.3, Weltoffenheit“ oder die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“, es ist meist das gleiche oder ein ähnliches Personal, das diese Unterzeichnerlisten organisiert.

Viertens sind öffentlich-rechtliche Medien, zu denen der WDR gehört, für den Nemi El-Hassan arbeiten sollte, gebührenfinanziert. Deshalb müssen sich ihre Entscheider von denjenigen, die Rundfunkbeiträge zahlen, selbst wenn sie das Angebot der Sendeanstalten nicht in Anspruch nehmen, fragen lassen, welche Werte diejenigen vertreten, die dort ihr Salär aus diesen Gebühren beziehen. Wer anderes als die unabhängigen Medien sollte diese Fragen aufwerfen? Es ist ihr Job innerhalb einer pluralistischen Medienlandschaft in liberalen Demokratien!

Fünftens ist es lobenswert, wenn Nemi El-Hassan sich mit rechtsextremem Judenhass beschäftigt wie in ihrem ZDF-Beitrag über den Anschlag eines Rechtsterroristen auf die Hallenser Synagoge 2019. Antisemitismus geht aber leider nicht allein von Rechtsextremisten aus, sondern kommt auch von Links, aus dem muslimischem Milieu und aus der Mitte der Gesellschaft. So wie Rechtsextremisten und die AfD gern islamischen Antisemitismus anprangern, so beschäftigen sich viele Linke und manchmal auch Deutsche, die viel Wert auf ihre palästinensische Herkunft legen, gern mit dem von Alt- und Neonazis. Die Judenfeindschaft der anderen zu thematisieren, hat zu oft eine bloße Alibifunktion, als dass dies Glaubwürdigkeit verbürgen könnte. Israelbezogener Antisemitismus ist leider die in den vergangenen zwanzig Jahren am schnellsten angewachsene und am weitesten verbreitete Form aktueller Judenfeindschaft. Und Nemi El-Hassan war darin gut und noch bis eben unterwegs. Das ist der Grund, weshalb man weder leicht noch schnell verzeiht. Und daran tut man gut.