QAnon-Spinner, Esoteriker, Impfgegner, Corona-Leugner, die AfD, Reichsbürger und Rechtsextremisten demonstrieren Schulter an Schulter gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Seit Beginn der Pandemie machen Verschwörungsfantasien die Runde: Juden hätten das Virus gezüchtet oder als „Hoax“ in die Welt gebracht und würden an den damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen verdienen. Wie immer in solchen Fällen haben die Beschuldigungen die altbekannte Täter-Opfer-Umkehr im Schlepptau. Ob nun eine von Erwachsenen vorgeschickte Elfjährige in die Rolle Anne Franks schlüpft oder eine Studentin in die von Sophie Scholl, immer aufs Neue stellen sie Wirklichkeitsverlust, unaufgearbeiteten Judenhass gleich welcher Provenienz und die unverarbeitete NS-Vergangenheit unter Beweis.
Das taten auch viele Verteidiger des kamerunischen Philosophen Achille Mbembes in den zahlreichen Zeitungs- und Rundfunkbeiträgen im vergangenen Frühjahr. Mbembes Texte standen als Unterstützung der palästinensischen BDS-Kampagne, die zum Boykott israelischer Waren, Künstler, Wissenschaftler, Sportler aufruft und dem jüdischen Staat sein Existenzrecht abspricht, zur Debatte. Monika Schwarz-Friesel von der TU Berlin hat den Verbalantisemitismus und die Abwehrstrategien Mbembes und seiner Verteidiger im deutschen Kultur- und Wissenschaftsbetrieb analysiert https://www.hagalil.com/2020/05/mbembe-2/ Den sich im Metaphernrausch und im Superlativstil erschöpfenden Gedankenhaushalt Mbembes haben Ijoma Mangold Und Thomas Schmid beschrieben https://www.goethe.de/prj/lat/de/dis/21869098.html ; https://schmid.welt.de/2020/08/28/politik-der-feindschaft-der-historiker-achille-mbembe-ist-in-deutschland-preisgekroent-hat-denn-niemand-sein-perfides-werk-gelesen/ . Jürgen Kaube wiederum kommentierte ausführlich, sachlich und pointiert die Reaktionen Mbembes und seiner Verteidiger https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/antisemitismus-debatte-um-den-philosoph-achille-mbembe-16761907.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2
Dass und warum Mbembes postkoloniale Ideologie mit seriöser Wissenschaft wenig zu tun hat, als geschlossenes Weltbild totalitär ist und zwangsläufig einer Relativierung des Holocaustdas Wort redet, hat Ingo Elbe schlüssig dargelegt https://taz.de/Debatte-um-Historiker-Achille-Mbembe/!5685526/ , https://www.welt.de/debatte/kommentare/plus209117081/Mbembe-Debatte-Wenn-Linke-einen-Schlussstrich-unter-Auschwitz-fordern.html , https://www.mena-watch.com/solidaritaet-statt-provinzialitaet-fallstricke-multidirektionaler-erinnerung/ .
Man könnte meinen, damit hätte es sein Bewenden gehabt. Doch pünktlich am Beginn von Chanukka hat eine „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ ein Revival der Mbembe-Debatte aufgelegt. Als Berater fungierten unter anderem alte Bekannte aus der Debatte im Frühsommer wie Aleida Assmann, der DLF-Journalist Stephan Detjen und – das erklärt, weshalb das Goethe-Institut involviert ist – Andreas Görgen vom Auswärtigen Amt sowie der Historiker Michael Wildt von der Humboldt-Universität. Ins Auge fällt, dass niemand von den Unterzeichner*innen bislang durch besondere Kennerschaft in Fragen des Nahost-Konflikts oder der historischen und aktuellen Judenfeindschaft aufgefallen ist. Zur Arbeit am Zentrum für Antisemitismusforschung haben Thomas Thiel und Jeffrey Herf vor Jahr und Tag richtige und wichtige Beobachtungen formuliert https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/zur-lage-des-juedischen-museums-berlin-16538869.html, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/jeffrey-herf-der-heutige-antisemitismus-hat-drei-urspruenge-16696194.html Wünschenswert klar waren viele Medienvertreter in ihrer Einschätzung der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ueber-die-initiative-gg-5-3-weltoffenheit-17095764.html , https://www.welt.de/debatte/kommentare/article222235952/Theater-gegen-BDS-Resolution-Ein-klarer-Fall-von-demokratischem-Antisemitismus.html , https://www.ruhrbarone.de/initiative-gg-5-3-weltoffenheit-die-geheuchelte-sorge-um-die-marginalisierten/193962 , https://www.ruhrbarone.de/staatskuenstler-wollen-mehr-antisemitismus-wagen/193921?fbclid=IwAR0MYM-Oz_DYK3BZdV2eO6_0nCveeOdbdKK_wKGM_cF4AJ32nmdBKl-oOic
Bereits im Zuge der Debatte um die israelfeindlichen und antisemitischen Positionen Achille Mbembes wurde zur Genüge wiederholt, dass die BDS-Resolution weder Auftritts- noch Äußerungsverbote erteilt hatte – wie die neuerliche „Initiative“ der Welt weiszumachen sucht. Nur staatliche Förderung soll BDS-Aktionen nicht zuteil weerden. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw20-de-bds-642892. Die Damit läuft die „Initiative“ ins Leere. Es ist bis heute kein „Opfer“ der Resolution zu beklagen. Auf Nachfrage von Journalisten konnten die Unterzeichner*innen auch keines benennen. Wie Jürgen Kaube dieser Tage konstatierte, sind Schwarze Listen im Kopf eine Frage des Kopfes, der sie erstellt, und nicht der ihn umgebenden Welt und das trifft auch für die Behauptung Susan Neimans zu, sie könnte weder Albert Einstein noch Hannah Arendt an ihre Institution einladen, weil diese Menachem Begin und seine Cherut-Partei 1948 verurteilt hätten https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/schwarze-liste-im-kopf-ueber-proteste-gegen-die-bds-resolution-17100408.html?GEPC=s3&premium=0xa76979788f99f01847c18d7103e8f578.
Was Proteste gegen Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und Proteste gegen den BDS-Beschluss des Bundestags miteinander zu tun haben? Mindestens den offenen Wirklichkeitsverlust.