Am 2. Juni 1967 besuchten Mohammed Reza Pahlavi und Farah Diba Pahlavi, das persische Kaiserpaar, im Zuge ihres Staatsbesuchs in der Bundesrepublik die Deutsche Oper in Berlin zu einer Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“. Sowohl vor dem Rathaus Schöneberg, in dem sich der Schah am Vormittag desselben Tages ins Goldene Buch der Stadt Berlin eintrug, als auch abends vor der Oper versammelten sich tausende deutsche Studenten, um gegen den persischen Staatsgast zu protestieren.
In der alten Bundesrepublik herrschte das Recht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit für jeden einzelnen ihrer Bürger. Aber warum zweitausend angehende deutsche Akademiker, von denen wahrscheinlich kein einziger auch nur ein Wort Farsi verstand, geschweige denn, dass er sich mit dem Iran, seiner Geschichte, den Problemen der dort lebenden Menschen und dem Reformprogramm des Schahs ausgekannt haben dürfte, gegen den offiziellen Empfang der Pahlavis in Deutschland aufbegehrten, bleibt ihr schlecht gehütetes Geheimnis. Schlecht gehütet deshalb, weil jeder sofort sehen kann, dass die jungen Leute alles andere als kritische Geister gewesen sind, dass sie wie ihre Eltern bereitwillig und ungeprüft jedem folgten, der ihnen etwas von „Unterdrückung“ und „Volk“ vorschwafelte, das ihrem inneren Bedürfnis nach Kollektiv und entfesselten Gefühlen entgegenkam. Am Vorabend des Besuchs der Pahlavis in Berlin hatte der linke iranische Student Bahram Nirumand im vollbesetzten Audimax der Freien Universität einen Vortrag über das despotische Regime des Schahs gehalten. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) hatte die Veranstaltung organisiert. Die Mobilisierungsbereitschaft muss enorm gewesen sein. Die seltsame, ausgesprochen widersinnige Gemengelage aus dem Genuss westlicher Freiheiten mit der Möglichkeit, sich politisch zu organisieren und zu artikulieren, mit Bluejeans, Beatles und Stones, aus elterlich ererbten Ressentiments gegen die USA und Juden sowie den europäischen Liberalismus, aus sozialistischen Vergemeinschaftungs- und Vergesellschaftungsfantasien, deren Verwirklichung überall im Ostblock zu Unfreiheit, totalitärer und diktatorischer Repression, zu Abermillionen Hungertoten, zur blutigen Niederschlagung von Volksaufständen (DDR 1953, Ungarn und Polen 1956), zu mörderischer Gefängnis- und Lagerhaft von Abermillionen Oppositionellen geführt hatte, wird in öffentlich-rechtlichen Medien so gut wie nie thematisiert.
Die Veteranen von 68 schweigen darüber im Interesse ihrer Selbstverklärung und Selbstviktimisierung. Und die Nachfolgegenerationen halten trotz des Kollaps aller staatssozialistischen Unternehmungen unbeirrt an ihnen fest, ohne zu merken, dass sie genau deshalb wenig von ihren Urgroßeltern, Großeltern und Eltern unterscheidet. Unsere Ministerinnen Faeser, Paus und Schulze sind dafür das beste Beispiel.
„Umzingelt von der Wirklichkeit“ (Robert Habeck) eines „antifaschistischen Schutzwalls“ (Walter Ulbricht) glaubten die Westberliner Studenten 1967 allen Ernstes, sich gegen einen Schah aufbringen lassen zu müssen, der es in seinem Land mit der Abwehr von zwei Totalitarismen zu tun hatte, dem marxistisch-leninistischen Staatssozialismus und einem islamischen Gottesstaat a la Chomeini. Dass Annalena Baerbock, unsere Außenministerin, sich für die Ukraine einsetzt, ist sehr gut. Dass sie wirklich verstanden hätte, warum sie das tut und weshalb das wichtig ist, bezweifle ich auch angesichts der beiden Tatsachen, dass sie trotz vollmundiger Ankündigungen einer feministischen Außenpolitik erstens öffentlich nichts unternahm, um den bedrängten Frauen im Iran zu helfen, und dass sie zweitens behauptete, der Frauenhass der Mullahs im Iran habe nichts mit dem Islam zu tun.
Zurück ins Jahr 1967. Gewiss, tags zuvor vom iranischen Geheimdienst eingeflogene „Jubelperser“ hatten ungehindert von der Berliner Polizei auf die demonstrierenden Studenten eingeprügelt. Auch einige deutsche Polizisten hatten zugeschlagen und einzelne Studenten auch dann noch durch die Straßen verfolgt und verprügelt, als sie im Begriff waren, sich von der Demo zu entfernen. Benno Ohnesorg, ein eher zurückhaltender Student und alles andere als ein Krawallnik, der sich auf dem Heimweg von der Demo befunden hatte, wurde dabei vom Polizisten Karl-Heinz Kurras aus allernächster Nähe erschossen. Kurras war ein „Waffennarr“ und, wie sich später herausstellte, Informant der DDR-Staatssicherheit und SED-Mitglied. Aber er hatte nicht im Auftrag Ostberlins gehandelt. Kurras schoss grundlos und aus Selbstermächtigung auf einen wehrlosen jungen Mann. Unbestritten bleibt, dass Kurras und einige seiner Polizeikollegen später vor Gericht schamlos logen, um aus der faktischen Hinrichtung einen Notwehrakt zu konstruieren. Verständlich, dass die Studenten der erschwindelte Freispruch zutiefst empörte. Unbestritten bleibt aber auch, dass sie beides, den Tod von Benno Ohnesorg und Kurras‘ Freispruch, benutzten, um aus der Bundesrepublik einen „Polizeistaat“ (Ulrike Meinhof) zu zimmern und aus Polizisten pauschal „Schweine“ (ebenfalls Meinhof) zu machen, gegen die angeblich jeder Gewaltakt gerechtfertigt sei. Die deutsche Nazivergangenheit interessierte die Studenten und Linksterroristen nicht, um sie aufzuarbeiten, sondern nur insofern sie ihnen dabei half, sich selbst als Nazi-Opfer fantasieren und stilisieren zu können, die in einem faschistischen System der „Verfolgung“, der „Folter“ und einer „Vernichtungshaft“ ausgesetzt wären. Als die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof 1972/73 in Köln-Ossendorf über Monate unter zugegeben schwierigen Haftbedingungen einsaß, assoziierte sie das mit nichts Geringerem als einem Aufenthalt im NS-Vernichtungslager Auschwitz.
Inzwischen sind solche inadäquaten NS-Vergleiche auf nichtjüdische Einwanderer als Opfer übertragen worden. Die Correctiv-„Recherche“ zum Rechtsextremisten-Treffen in Potsdam war da nur konsequent. „APAC“-Parolen – „All cops are bastards“ -, der Kampf gegen Rechts und die angeblich unmittelbar vor der Tür stehende faschistische Machtergreifung durch die AfD erinnern kaum zufällig an die Bundesrepublik der späten sechziger und siebziger Jahre. Wann haben die 68er – von einigen wenigen Ausnahmen wie Götz Aly oder Gerd Koenen abgesehen – jemals begonnen, ihren seltsamen Hang zu Massenmördern wie Lenin, Stalin, Mao oder Pol Pot aufzuarbeiten? Wann haben sie jemals begonnen, ihren Hass auf den Westen mit seinen „Zumutungen“ des eigenständigen Denkens an jeden einzelnen Menschen einzugestehen? Wann haben sie jemals begonnen, ihre merkwürdigen Vorstellungen über die Gründe für die erbärmliche Lage vieler Menschen im „globalen Süden“ nachzudenken und ihre schweren Irrtümer einzuräumen? Ossis mussten sich nach 1989 mit dem Scheitern ihrer Illusionen befassen, Wessis der Neuen Linken nicht. Sie konnten aufs Neue denken und sagen, dass sie mal wieder mit allem nichts zu tun hatten, sämtliche Exzesse den Extremisten innerhalb der Studentenbewegung anlasten, zu denen sie selbst ja nie gehört hatten, und weiterhin und bis heute alles auf den Vietnam-Krieg der USA, die NS-Elitenkontinuität in der Bundesrepublik und natürlich auf den Besuch des Schahs in Deutschland schieben, dessen bloße Anwesenheit die Schüsse auf Benno Ohnesorg veranlasst zu haben schien.
Wer war überhaupt der Schah? Ganz sicher ein Autokrat. Er ließ keine Opposition im Innern des Iran zu, deren Angehörige er vom berüchtigten Geheimdienst „Savak“ verfolgen, verhaften und foltern ließ. Doch begründet hatte die iranische Geheimpolizei der Premierminister, den der Schah 1953 hatte – immerhin wiederstrebend – stürzen lassen: Mohammed Mossadegh, der alles mögliche gewesen ist, aber kein liberaler Demokrat. Sein Todesurteil wandelte der Schah in eine dreijährige Haftstrafe mit anschließendem Hausarrest um, in dem der damals 85-Jährige friedlich verschied. Zum Zeitpunkt seiner Entmachtung war er 71 Jahre alt. Es ist erwiesen, dass der amerikanische Geheimdienst CIA in die Absetzung Mossadeghs und die Neueinsetzung eines anderen Premiers verwickelt gewesen ist, doch welchen Anteil er genau daran hatte, ist weniger klar, da Mossadegh bei seinem Versuch einer Verstaatlichung der iranischen Öl-Industrie verfassungsrechtlich und innenpolitisch in schweres Fahrwasser geraten war und sich bei weitem nicht lediglich in Gegnerschaft allein zum Schah befunden hatte. Mossadegh war Nationalist und lehnte den westlichen Einfluss ab, den der Schah repräsentierte.
Ähnlich milde verfuhr der Schah mit einem anderen, weitaus gefährlicheren Gegner, dem späteren Ajatollah Ruhollah Chomeini. Der islamische Fundamentalist hatte 1963 gegen die vom Schah begonnene Weiße Revolution mit ihrer Alphabetisierungsinitiative, ihrer Bodenreform und der Abschaffung des Feudalsystems, ihrem Verbot der Kinderehe und ihrer Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts gepredigt, für erheblichen Aufruhr und Protestdemonstrationen gesorgt, war verhaftet worden und sah einem wahrscheinlichen Todesurteil entgegen, das der Schah in einen Hausarrest abwandeln ließ. Als Chomeini das iranische Parlament und den Schah 1964 öffentlich als Lakaien Amerikas und Israels beschimpfte und der Zerstörung des Irans bezichtigte, ließ ihn der Schah in die Verbannung in die Türkei ausfliegen. Islamischer Fundamentalismus war die eine Seite, von der dem Iran Gefahr drohte, die andere war der Sowjetkommunismus, der das Land in Gestalt des Marxismus-Leninismus destabilisierte, durch die bereits unter Pahlevis Vater 1931 verbotene Kommunistische Partei und ihrer Wiedergängerin, der Tudeh-Partei, die 1949 nach einem Attentat auf den Schah aufgelöst worden war, aber im Untergrund weiterarbeitete. Sowohl die Islamisten als auch die Kommunisten ermordeten Politiker, Journalisten und Intellektuelle, organisierten Massenproteste, verübten Attentate und Anschläge mit zahllosen Todesopfern.
Anders gesagt: Die Opposition gegen den despotischen, aber strikt westlich orientierten, proamerikanischen und proisraelischen Schah bestand nicht aus lupenreinen Demokraten. Mohammed Reza Pahlavi und seine Frau Farah Diba modernisierten das Land vom Beginn der sechziger Jahre an von oben herab durch Reformen und machten dabei viele, aus heutiger Sicht unverzeihliche Fehler. Das unkontrollierte Schalten und Walten-Lassen des Geheimdienstes, die Korruption, das Ignorieren der Armut im Land, der Ausschluss weiter Teile des Volkes gehören dazu. Dessen ungeachtet befanden sich beide auf dem richtigen Kurs. Bereits Pahlavis Vater hatte den Verschleierungszwang für Frauen aufgehoben. Nun erhielten Frauen Zugang zu Bildungseinrichtungen und zum Arbeitsmarkt. Sie schminkten sich, trugen Miniröcke und rauchten in der Öffentlichkeit. Zumindest in den Großstädten. Wenn der Iran jemals eine liberale Demokratie werden sollte, dann waren die Reformen, die das Kaiserpaar angestoßen hatte, die Voraussetzung dafür. Und welcher Staat der islamischen Welt konnte in den sechziger und siebziger Jahren schon mit einer akademisch ausgebildeten Kaiserin aufwarten, die ihr eigenes Büro unterhielt, Kunstfestivals organisierte, allein durchs Land reiste und übergangsweise die Regierungsgeschäfte hätte übernehmen können?! Der seit vielen Jahren krebskranke Schah wäre Ende der 1970er Jahre über kurz oder lang ohnehin von seinem Sohn Cyrus Reza Pahlavi abgelöst worden. Der Kronprinz dürfte die Monarchie in ihrer damaligen Form höchstwahrscheinlich zur Disposition gestellt und womöglich ein Referendum über die künftige Ordnung des Iran abgehalten haben.
Doch ab dem Spätsommer 1978, als die Protestdemonstrationen der Kleriker, der terroristischen Volksmudschahedin, die eine sozialistische mit einer islamistischen Agenda verbanden, marxistisch-leninistischer und nationalistischer Gruppen, unter die sich auch in Libyen und den Palästinensergebieten ausgebildete Agitatoren gemischt hatten, war es für eine Stabilisierung der Schah-Regentschaft zu spät. Dass der amerikanische Präsident Jimmy Carter, der französische Premier Valery Giscard d’Estaing, der britische Premier James Callaghan und der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt den Schah Anfang Januar 1979 offiziell fallenließen, war angesichts der Lage im Iran in gewisser Weise folgerichtig, aber rückblickend und geopolitisch gesehen voreilig und falsch. Denn was nun folgte, sollte den gesamten Nahen und Mittleren Osten auf Jahrzehnte destabilisieren. Ob die iranische Revolution, die von Anfang an eine islamistische gewesen ist, ganz einfach, weil sich die gesamte Opposition gegen den Schah hinter Ruhollah Chomeini als ihren Anführer versammelt hatte, von den Klerikern gekapert wurde oder ob die iranische Linke nicht von Anfang an einer tödlichen Selbsttäuschung aufgesessen war, sei dahingestellt. Fakt ist, dass Linke vom Mullah-Regime unerbittlich verfolgt und ermordet wurden.
Für westliche Intellektuelle wie Jean-Paul Sartre oder Michel Foucault war der betende „Greis unterm Apfelbaum“ so etwas wie die unverstellte und ursprüngliche Stimme des iranischen Volks, das authentische Persien, das der hochmütige und despotische Schah unrechtmäßig verwestlicht hatte. Chomeini war für sie die spirituelle Tiefe, die dem säkularen Westen angeblich abhanden gekommen war. So versponnen und verstiegen dachten auch Journalisten wie Peter Scholl-Latour, der dem hasserfüllten alten weißen Mann mit dem schwarzen Turban die Tiefe biblischer Propheten andichtete. Und so denken bis heute linke Journalistinnen wie Charlotte Wiedemann, die im Iran noch Tugenden wie die höfliche Zurückhaltung von Männern gegenüber Frauen erkannt haben wollte, während der an das Mullah-Regime gerichtete Vorwurf eines Gottesstaates in ihren Augen bloß ein westliches Stereotyp sei, weil sich kaum noch Kleriker im Parlament befänden. Wiedemanns Palästinasolidarität und ihr Israelhass fügen sich bruchlos in diese verquere Logik ein. Immerhin war es Chomeini selbst, der die Befreiung Palästinas einst zur edelsten Pflicht eines jeden Muslims machte und die nach dem Sturz des Schahs verlassene israelische Botschaft sofort an Jassir Arafat übergab.
Die seltsame Allianz zwischen Islamisten und Linken im Westen zeichnete sich im Juni 1967 anlässlich der studentischen Proteste gegen den Besuch des Schahs bereits ab. Das einigende, bis heute unverbrüchliche Band war beider Hass auf den Westen. Nur wenige Monate später sollten die Studenten der alten Bundesrepublik anfangen, gegen Israel, seine Repräsentanten und alle, die sie dafür hielten, zu agitieren.
Auch wenn ich der Meinung bin, dass kontrafaktische Geschichtserzählung erkenntnisfördern nur für kleine akademische Zirkel von Wissenschaftlern sein kann, die mit der Realgeschichte in allen ihren Einzelheiten und Facetten bestens vertraut sind, wage ich die Spekulation, dass wir ohne islamische Revolution im Iran vermutlich keine Renaissance der wahhabitischen Geistlichkeit in Saudi-Arabien, keinen sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, keine Golfkriege, keine Al-Qaida, keine Hisbollah im Libanon, kein 9/11, keine schiitischen Milizen und keine iranischen Revolutionsgardisten in Syrien und im Irak erlebt hätten. Und es hätte wahrscheinlich auch kein Pogrom der Hamas am 7. Oktober 2023 im Süden Israels gegeben, wäre der Schah 1978/79 nicht gestürzt worden und der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat, der ihm bis zu seinem Tod im Sommer 1980 nach einer Odyssee durch Nord- und Mittelamerika Zuflucht in Kairo gewährt hatte, nicht 1981 von Muslimbrüdern ermordet worden. Nun gut, an ihrer statt hätten wahrscheinlich andere Scheußlichkeiten das Licht der Welt erblickt.
Festzuhalten bleibt, dass der Islamogauchisme, die Islamlinke, europaweit auf eine jahrzehntelange Geschichte zurückblickt, die verschiedene Quellen hat. Eine davon war die für iranische Linke selbstmörderische Allianz mit den Mullahs beim Sturz des Schahs.