Hört man vom geplanten Vertreibungen, gar Deportationen von mehreren Millionen Ausländern und eingebürgerten Deutschen aus diesem Land, erschrickt man. Erst recht, wenn davon öffentlich-rechtliche Medien berichten. Verständlich, dass Hundertausende gegen solche Pläne auf die Straße gehen. (Glaubwürdiger wären diese Menschen allerdings, hätte auch nur die Hälfte von ihnen gegen die Mordorgie der Hamas am 7. Oktober 2023 im Süden Israels und die sich daran anschließenden antisemitischen Ausschreitungen auf deutschen Straßen demonstriert. All das hatte sich faktisch ereignet.)
Auf die Idee, den stündlichen Meldungen im Deutschlandfunk nachzurecherchieren, wäre ich nicht im Traum verfallen, wären die Angaben sachlicher, konkreter und genauer gewesen. Die Vertreibung und Deportation von Millionen Ausländern und eingebürgerten Deutschen aus diesem Land erschien mir ungeheuerlich. Und außer dem Deutschlandfunk, der ARD und dem ZDF sprachen der „Spiegel“, die „Zeit“ und etliche Tageszeitungen querbeet durchs Land davon, wie den Presseschauen zu entnehmen war. Wenn so viele seriöse Medien eine solche Nachricht verbreiteten, konnte es sich schließlich nicht um eine Ente handeln. Ich wollte wissen was dran war. Und las den „Correctiv“-Bericht, die Quelle, auf die sich alle beriefen.
Von „Deportationen“ war dort keine Rede. Ein Plan zur millionenfachen „Vertreibung“ von Migranten aus Deutschland ergab sich aus dem Dargestellten nicht, auch wenn das im Text von seinen Verfassern an der einen oder anderen Stelle behauptet wurde. Selbst die referierten Vortragsinhalte des Rechtsextremisten und Identitären Martin Sellner gaben das nicht her. Der wollte nur Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht und nicht-assimilierte Leute mit Einwanderungsgeschichte und deutschem Pass abschieben und nannte das Remigration, worüber er ein Buch geschrieben hat. Das spricht nicht für übertriebene Geheimnistuerei. Sellner ist kein Mensch, den man kennen möchte. So wenig wie die übrige Gesellschaft. Es handelte sich bei der Zusammenkunft von etwa zwei Dutzend Unternehmern, AfD- und CDU-Mitgliedern im Potsdamer Luxushotel um eine geschlossene Veranstaltung, ein Vernetzungstreffen zum Zweck der Spendeneinwerbung für die Neue Rechte, an dem neben Rechtsextremisten auch Rechtskonservative und Konservative teilgenommen hatten. Ein klug aufgebauter, gut geschriebener, sachlich kühler und streng auf die Fakten konzentrierter Artikel hätte es zwar vermutlich weder in die öffentlich-rechtlichen noch in die privaten Medien geschafft, wäre aber lesenswerter und vor allem substantieller gewesen.
Worte wie „Geheimplan“ und „Geheimtreffen“, vor allem aber die Anspielung auf die Wannseekonferenz erschienen mir, ehrlich gesagt, von Anfang an unglaubwürdig. Die Suggestion des Konspirativen erinnerte an eine Räuberpistole und die dem Leser aufgedrückte Nazi-Assoziation diente offenkundig nur dazu, dem dürftigen Gehalt Gewicht zu geben. Letztes Jahr lief um diese Zeit im ZDF Matti Geschonnecks Fernsehdrama „Die Wannseekonferenz“, das den „Correctiv“-Textern wahrscheinlich vorschwebte, als sie die belanglose Ankunft der Teilnehmer des Treffens und die Wetterlage mitteilen zu müssen glaubten. Doch ein Plan zur millionenfachen Vertreibung, gar Deportation von Ausländern und eingebürgerten Deutschen ist im November in Potsdam nicht gefasst oder auch nur besprochen worden. Was da seit vierzehn Tagen tatsächlich verbreitet wurde, ist – freundlich gesagt – eine Fehlinformation. (https://www.cicero.de/innenpolitik/correctiv-recherchen-uber-den-wannsee-scoop; https://www.nius.de/Analyse/geheimplan-gegen-deutschland-wie-das-staatlich-finanzierte-portal-correctiv-eine-wannseekonferenz-2-0-erfand/37538eef-f58a-4ec1-852c-7273115871fe; https://www.nzz.ch/der-andere-blick/remigration-ja-aber-richtig-ld.1773834?reduced=true)
Stutzig gemacht haben mich ein Interview des „Correctiv“-Chefredakteurs im Wiener „Standard“ (https://www.derstandard.de/story/3000000202893/investigativjournalist-von-daniels-jedem-muss-klar-sein-was-die-afd-in-wirklichkeit-will) und der Auftritt eines der Texter bei „Markus Lanz“ am 17. Januar. Auch eine Art Spendeneinwerbeaktion. Und der gleiche Stil freier Assoziationen, Unterstellungen und fehlender Belege wie im Text, der überall als Quelle dient. Das sind keine kleinen Woodwards und Bernsteins – Stichwort Watergate-Affäre -, die sich eloquent auszudrücken vermochten, mit viel Köpfchen an ihre Informationen kamen und ans Tageslicht brachten, was die Welt zuvor weder wusste noch auch nur ahnte. „Correctiv“ hat einfach Wind von der Einladung nach Potsdam bekommen, hat sich im Hotel eingemietet und das Rechtsextremisten-Treffen abfotografiert und vermutlich abgehört. Das ist keine Investigativ-Recherche. Und schon gar nicht mutig.
Ja, wenn sich „Correctiv“ im Höcke-Milieu umgetan, ein Islamisten-Treffen oder eine Zusammenkunft der Grauen Wölfe ausgeforscht hätte, könnte man von einer Recherche sprechen, aus der sich neue Erkenntnisse ergeben würden. Aber so hat das Team der „Messe der Meister von morgen“ nur Altbekanntes wieder aufgewärmt und den x-ten Aufguss samt Fehlinformation serviert.
Die Leistung, vor der man den Hut zieht, ist in Wahrheit keine: Die Fehlinformation millionenfacher Vertreibungen und Deportationen wurde geglaubt und ist heute in aller Munde.