Zwei Dinge lernen Schüler heute im Politikunterricht: 1) Wenn sich die Regierung von den Regierten abkoppelt und gegen sie regiert, sind Protest und Einspruch legitim, ja müssen die Regierten einschreiten, damit die politischen Verhältnisse nicht in Absolutismus, Diktatur oder Totalitarismus abgleiten. Seit John Locke, der noch keine Vorstellung von Diktaturen und totalitären Herrschaftsformen gehabt haben konnte, hat dieser Grundsatz, der in die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von 1776 eingehen sollte, ehernes Gewicht. Die demonstrierenden Landwirte, die als Grundnahrungsmittellieferanten, „systemrelevant“ und keineswegs bloß partikulare Interessenvertreter sind, protestieren unter vielen Sympathiebekundungen der Bevölkerung zu Recht gegen eine dilettantische und verantwortungslose Regierungspolitik, die sie unverhältnismäßig belastet. Die Landwirte mit „Rechtsextremen“, aus der Luft gegriffenen Umsturzplänen und unbelegt gebliebenen gewalttätigen Übergriffen in Verbindung zu bringen, wie das Cem Özdemir und Robert Habeck getan haben, um die Proteste zu delegitimieren, ist demagogisch.
2) Rechtsstaatlichkeit beruht auf jener Gewaltenteilung, die der Baron de MontesquieuMitte des 18. Jahrhunderts – damals ebenfalls gegen den Absolutismus – formuliert hatte: Gesetzgebung (Legislative), Rechtsprechung (Judikative) und Vollzugsgewalt (Exekutive) gehören nicht in eine Hand. Keine für die Zeit von vier Jahren gewählte Regierung hat das Recht, sich der Polizei, Justiz oder Verwaltung zu bedienen, um ihre politisch-ideologischen Interessen durchzusetzen und ihre zeitlich legitimierte Macht zu missbrauchen. Genau das scheint Nancy Faeser getan zu haben, als sie den Präsidenten des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm, unter dem Vorwand ablösen und versetzen ließ, er stünde mit dem russischen Geheimdienst in Verbindung, ein haltloser Vorwurf, den das ZDF-Magazin „Royal“ kurz zuvor erhoben hatte. Anstatt ein Disziplinarverfahren gegen Schönbohm zu eröffnen und die Vorwürfe prüfen zu lassen, drehte die Innenministerin die Abläufe einfach um, enthob Schönbohm seines Amts und prüfte hinterher, ob das überhaupt gerechtfertigt war. Wie sich alsbald herausstellte, war es das nicht. Wenn Familienministerin Paus nach Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft mit Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden aufruft, erinnert das an totalitäre Systeme. Erstens ist die Zivilgesellschaft keine Zivilgesellschaft mehr, wenn sie staatlich vollfinanziert und instrumentalisiert wird, und zweitens hat die Zivilgesellschaft nicht die Aufgabe, Demokratiefeinde aufzuspüren und auszuspähen. Was Paus da vorschlägt, ist eine ihrerseits demokratiefeindliche Verdrehung und Verkehrung kommunaler Selbsthilfe ostdeutscher Gemeinden während der Baseballschlägerjahre in den 1990ern in ihr gerades Gegenteil. Damals schüchterten rechtsextreme Gewalttäter die von den Unwägbarkeiten der ersten Nachwendejahre gebeutelten Leute im Osten ein. Die Kooperation von Polizei, Bürgermeistern, Schulen etc. mit den Einwohnern dienten Kommunalanalysen, die helfen sollten, sich ein Bild der Lage vor Ort zu machen und Projekte zu entwickeln, die Meinungsvielfalt und individuelle Handlungsfähigkeit stärken, nachdem man jahrzehntelang in den geschlossenen Gesellschaften von Nazi-Diktatur und SED-Diktatur gelebt hatte, die genau eines nicht wollten: mündige und freie Bürger, die nicht tun, was man von ihnen verlangt, sondern, was sie selbst für richtig halten. Es ging gerade nicht um eine kollektive Einheitsfront, gegen wen auch immer. Es ging gerade nicht um soziale Kontrolle, nicht darum, sämtliche Lebensbereiche auf Dauer in den Dienst politischer Arbeit zu stellen, diesbezügliche Kooperationen zu verstetigen und den politischen Parteien den Wettbewerb abzunehmen, nicht um eine Dauermobilisierung auf allen Ebenen des Lebens, wie es Lisa Paus vorschwebt.
Wenn sich Regierungs- und Parteipolitiker von den Grünen und der SPD heute hinstellen und behaupten, sie seien die liberale Demokratie a la „L’état, c’est moi!“,ist das präpotente Hybris, absolutistisch oder totalitär. denn es sind gerade sie, die durch ihr Handeln und Nichthandeln, ihr Tun und Lassen, das Funktionieren dieser liberalen Demokratie gefährden.
Oder hat in den letzten Jahren jemand mehr Verachtung einer Ministerin gegenüber staatlichen Institutionen wie dem Parlament erlebt als die, welche Nancy Faeser dem Innenausschuss Anfang September 2023 kurz vor der hessischen Landtagswahl bezeigte, als sie zwar trotz Corona-Erkrankung Wahlkampf machen und ein Interview geben, aber den Mitgliedern des Ausschusses nicht Rede und Antwort über die Angelegenheit Schönbohm geben konnte? Die Kritik, die sie prompt aus den Reihen der Opposition ereilte, nannte sie „Theaterdonner“, obschon doch noch jeder die Verhaftungen der Reichsbürger-Clique im Beisein laufender Fernsehkameras vor Augen hatte, die selbst einige linke Medienvertreter irritierten. Robert Habeck und Annalena Baerbock verletzen mit vielen ihrer Äußerungen in einer Tour unfreiwillig den gesunden Menschenverstand – aufhören zu arbeiten, aber keine Insolvenz, 360-Grad-Wenden, keine Besteuerung = Subvention usw – und kommen nicht auf die Idee, dass sich die Bürger verschaukelt vorkommen müssen, treiben mit ihren Gesetzesvorhaben Menschen in den finanziellen Ruin und verteilen rundum die Welt die Steuergelder der Bundesbürger, versorgen Freunde, Spezies, Verwandte mit hochdotierten Spitzenjobs, ohne dass für die Bürger ersichtlich ist, was sie davon haben. „Respekt“-Kanzler Olaf Scholz lacht Bäcker und junge Menschen aus, die sich bei ihrer Energieversorgung auf die Politik verließen oder nach der Rente fragen. Und anstatt dass die öffentlich-rechtlichen Medien sie dafür rundmachen, belehren und erziehen sie lieber die Bürger und lassen sich von wenig seriösen NGOs die Schlagzeilen diktieren.
Hatte Angela Merkel mit dem Atomausstieg und der Grenzöffnung einst das grüne Parteiprogramm durchgesetzt, macht die Ampel-Regierung heute Wahlwerbung für die AfD. Auf der Strecke bleibt die liberale Demokratie.