Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrter Herr Heckmann,
seit dem Bericht des Netzwerks Correctiv über ein Treffen rechtsextremer, Rechtskonservativer und Konservativer ohne staatliches Amt in einem Potsdamer Hotel im vergangenen November, auf dem der österreichische Rechtsextremist und Kopf der Identitären Bewegung, Martin Sellner, über Remigration vorgetragen haben soll, sprechen einige Ihrer Moderatoren – darunter Sie, Herr Heckmann: von „Remigration“ = „Vertreibung“ – konsequent von geplanten millionenfachen „Deportationen“ oder „Vertreibungen“.
Heute gab es bei Ihnen in den Hauptnachrichten sogar die zitierte Pressemitteilung des Anwaltsvereins/Richterbunds, die vor einer wiederholten Wannseekonferenz warnte. Alls habe es sich in Potsdam um die Zusammenkunft hoher Ministerialbeamter und Staatssekretäre gehandelt, die im staatlichen Auftrag Details der Deportation von Juden zur Massenvernichtung klären, das heißt, einen von dazu autorisierten Institutionen bereits gefassten Beschluss umsetzen.
Warum, sehr geehrte Redaktion, nimmt man eine solch offenkundig überambitionierte Pressemitteilung ins Hauptnachrichtenprogramm auf, die ihre Verfasser als historisch wenig beschlagen ausweist? Die Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942 organisierte und systematisierte einen Massenmord an Juden, der seit Sommer 1941 stattfand. Will irgendwer allen Ernstes behaupten, es handle sich bei dem Potsdamer Treffen um die Vorbereitung eines millionenfachen Massenmords, ja auch nur um die staatlich geplante millionenfache „Vertreibung“ und „Deportation“ von Ausländern und eingebürgerten Deutschen? Die Pressemitteilung und der Kontext, in den sie sich selbst stellt oder in den Sie sie stellen, ist eine gewaltige Verharmlosung der Nazi-Vergangenheit!
Selbst beim Netzwerk Correctiv, dessen Bericht über das Rechtsextremisten-Treffen stichhaltig zu sein scheint, fand ich weder das Wort „Vertreibung“ noch das Wort „Deportation“. Ganz abgesehen davon, dass Correctiv bislang keinen Beleg für den genauen Wortlaut auf dem Potsdamer Rechtsextremisten-Treffen beigebracht hat.
Einige (!) der Kollegen in der Deutschlandfunk-Redaktion geben in meinen Augen das Bild von Menschen ab, die im Jahr 2024 versuchen, Hitlers Machtantritt 1933 zu verhindern. Eine Illusion, die das Gefühl vermitteln mag, man sei dieses Mal auf der richtigen Seite im antifaschistischen Widerstand. Sie erinnern mich manchmal an die Studenten von 1968, die – damals noch mit einer gewissen Berechtigung -, in der bundesdeutschen Staatsgewalt „Faschisten“ sahen. Übrigens auch in Israel. Und überall dort, wo er weder geplant war noch stattfand, einen Massenmord, ja Völkermord: damals wie heute an Palästinensern, an Arabern, an Muslimen.
Sie könnten den Massenmord einfach dort sehen, wo er faktisch verübt wurde: Im Süden Israels vor allem an Juden am 7. Oktober 2023, begangen von der Terrororganisation Hamas, von Palästinensern, Arabern, Muslimen, anstatt das vielfach instrumentalisierte „Leid der Palästinenser“ zu beschwören und eine dem Antisemitismus vergleichbare „Islamophobie“ am Werk zu sehen, Herr Heckmann, denn Ihr ebenso freies und weitläufiges Assoziieren verzerrt die Realität: es minimiert die historischen Vertreibungen, Deportationen und Massenmorde von und an Juden sowie das aktuelle Pogrom in Israel und maximiert eine eingebildete Gefährdung und einen bislang völlig unbelegt gebliebenen Plan.
Remigranten nannte man in Westen wie im Osten alle, die nach der Befreiung vom Nationalsozialismus aus der ab 1933 erzwungenen Emigration nach Deutschland und Österreich zurückgekehrt waren, egal, ob Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Christdemokraten, Juden, Nichtjuden.
Deportationen nennt man jeden erzwungenen, massenhaften Bevölkerungstransfer, den es historisch weltweit immer wieder gegeben hat: im Perserreich, im Osmanischen Reich, vor, während, nach beiden Weltkriegen; es gab sie unter Stalin millionenfach – u. a. Bauern, Tschetschenen, Russlanddeutsche, Ukrainer. Etwas völlig anderes waren die „Verschickungen“ oder „Deportationen“ der Armenier durch die Jungtürken 1915/16 im Osmanischen Reich, die heute besser unter dem Begriff Völkermord an den Armeniern bekannt sind, weil es das war, das sich damals faktisch ereignet hat. Wieder etwas anderes sind die NSDdeportationen von Juden zum Zweck ihrer systematisch geplanten Ermordung.
Halten Sie Ausweisungen, Abschiebungen, Rückführungen – immerhin rechtsstaatliche Verfahren – irregulär eingereister, abgelehnter und ausreisepflichtiger Asylbewerber, straffällig gewordener Asylbewerber, rechtskräftig verurteilter Intensivtäter mit zwei Pässen, Clankrimineller, nachgewiesener Antisemiten unter Eingewanderten oder eingereisten ohne deutschen Pass allen Ernstes für „Vertreibungen“ oder „Deportationen“ und „Remigration“ für eine Tarnbezeichnung dafür?
Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist nur solange ein Garant für das funktionieren einer liberalen Demokratie, solange seine Journalisten Wahrhaftigkeit und Sorgfalt zu ihrem Handwerk zählen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Sylke Kirschnick