Wird in Deutschland über Antisemitismus gesprochen, greifen drei eingeübte Reflexe: erstens käme er vor allem aus dem rechten Milieu, zweitens gäbe es eine mindestens ebenso große Gefährdung von Muslimen (und Schwarzen) und drittens gefährde vor allem die AfD die bundesdeutsche Demokratie. Das entspricht dem Mantra, das die Bundesinnenministerin Nancy Faeser seit ihrem Amtsantritt Ende Dezember 2021 faktenfrei und ohne Belege – ja geradezu kontrafaktisch zu den Statistiken des Bundeskriminalamts und des Verfassungsschutzes – wie eine Aufziehpuppe herunterbetet.
Das ist inzwischen kreuzgefährlich. Denn es gefährdet nicht nur das Leben der Menschen hierzulande, allen voran das von Juden, sondern auch die liberale Demokratie in ihren Grundfesten. Die erschüttern Regierungspolitiker, aber auch öffentlich-rechtliche Journalisten dadurch, dass sie das Vertrauen der Bürger aufs Spiel setzen, wenn sie fortgesetzt eine Parallelwelt errichten, in der sie wie der spanische Ritter von der traurigen Gestalt mannhaft und an jeder Realität vorbei wortreich ihre Spiegelgefechte aufführen, von denen sich die Menschen nur noch entgeistert, kopfschüttelnd und unangenehm berührt abwenden. Das Lachen ist den Leuten längst vergangen.
Den „Experten“kreis zur Muslimfeindschaft und seinen zweifelhaften Bericht brauchte die Bundesinnenministerin, um die Kulisse einer angeblichen Muslim- und Islamgefährdung in Deutschland zu erzeugen, die weder im beschworenen Ausmaß noch in der vorgegaukelten Qualität existiert, weil sie schlichte Fremden- oder Ausländerfeindlichkeit ist und auf widerlegbaren Vorurteilen beruht. Eine solche Kulisse benötigte die Bundesinnenministerin für die von ihr einberufene Islamkonferenz, um über all das nicht reden zu müssen, was den liberalen und säkularen Muslimen unter den Nägeln brennt und gegen den Strich geht. Außerdem wäre das Thema muslimischer Antisemitismus, da er sich gerade mal wieder in bislang ungekannter Lautstärke und Dauer auf unseren Straßen austobt, ein viel zu heißes Eisen für die diesjährige Islamkonferenz gewesen. Nächstes Jahr vielleicht, wenn der „Experten“kreis und Lamya Kaddor ausreichend Zeit gefunden haben werden, das alberne Märchen von seinem „Re-Import“ und seinem europäischen Charakter vorzubereiten, das dann als neue Kulisse hochgezogen werden kann, um die Probleme zuzukleistern, anstatt sie auf den Tisch zu legen und zu bearbeiten.
Das Antisemitismus und „Islamohobie“ vergleichbare Phänomene seien, hat der Antisemitismus“forscher“ Wolfgang Benz der Welt über Jahre hinweg einzureden versucht. Und obwohl er von der Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel ebenso gründlich wie ausdauernd widerlegt worden ist, bleibt die alte Propagandaplatte der Kommunisten, der Sowjetunion, der arabischen Staaten, der deutschen Studentenbewegung, Edward Saids et al offenbar einer der Lieblingsoldies der Deutschen Islamkonferenz. Mit Wissenschaft hat das gar nichts zu tun und mit seriöser Politik auch nicht.
Dass vor allem, ja eigentlich ausschließlich die AfD die Demokratie gefährde, ist ein weiterer Rohrkrepierer der Gegenwart. Die AfD wäre eine unter 5-Prozentpartei, wenn die von den Sozialdemokraten angeführte Bundesregierung einen Blick nach Dänemark zu den dort ebenfalls regierenden Sozialdemokraten riskieren würde. Dann würde sie erkennen, dass die AfD ein Symptom für ungelöste Probleme ist, die die Politik erst geschaffen hat (!) und das sich deshalb leicht bekämpfen und aus der Welt schaffen ließe.
Denn die Probleme, für die die AfD steht, wären gar nicht erst entstanden, wenn die aktiven Politiker auf das gehört hätten, was deutsche Staatsbürger wie Seyran Ates, Necla Kelek, Lale Akgün, Mina Ahadi, Ralph Giordano (als er noch lebte), Henryk M. Broder, Hamed Abdel-Samad, Ralph Ghadban, Kirsten Heisig (als sie noch lebte), Heinz Buschkowsky, Ahmad Mansour, Ali Ertan Toprak, Güner Balci et al, aber auch Wissenschaftler wie Bassam Tibi, Monika Schwarz-Friesel, Ruud Koopmans, Susanne Schröter, Sandra Kostner et al und der Journalist Constantin Schreiber seit 15, 20 Jahren unablässig gesagt und geschrieben haben. Sie haben sich die Münder fusselig geredet und die Finger wundgekritzelt. Nur die aktiven Politiker und öffentlich-rechtlichen Journalisten benahmen sich wie die drei Affen, die nichts hören, nichts sehen und nichts sagen.
Heute Morgen widersprach die Rechtsanwältin Seyran Ates, die sich in Deutschland seit über vierzig Jahren für Frauenrechte einsetzt und gegen Islamisten und türkische Rechtsextremisten in Gestalt der Grauen Wölfe kämpft, dem Moderator des Deutschlandfunks, der bar jeder Evidenz darauf beharrte, dass „Islamophobie“ ein mindestens ebenso großes Problem darstelle wie der Antisemitismus. Sie hat sich gegen den islamistischen Kampfbegriff „Islamophobie“ verwahrt, dem „Experten“kreis zur Muslimfeindlichkeit die Wissenschaftlichkeit abgesprochen, u. a. wweil sein Bericht aus unzuverlässigen Quellen schöpft – den der Islamisten nämlich -, kritisiert, dass die Bundesinnenministerin den Expertenkreis zum politischen Islam abgeschafft hatte, darauf hingewiesen, dass sie, ihre Ibn Rushd-Goethe Moschee und die dort versammelten Gläubigen von anderen Muslimen angegriffen werden, dass muslimischer Antisemitismus immer dagewesen, aber in seiner Dimension nur zunehmend vernehmbarer werde, Linksliberale sie als Provokateurin und Islamfeindin abstempelten, die handfesten Probleme beschönigen oder beschweigen, kurzum, sie ließ den Luftballon platzen, den der Moderator gerade hatte aufsteigen lassen.
Es ist ein Skandal, dass Menschen wie Ates, Abdel-Samad, Mansour et al in Deutschland unter Polizeischutz leben müssen. Kein spontaner Spaziergang, kein spontaner Einkauf, keine spontane Verabredung mit Freunden auf einen Kaffee, Tee oder ein Glas Wein, im Sommer kein spontaner Tripp zum See, um zu baden, im Winter kein spontaner Tripp zum Skifahren oder Rodeln in die Berge, im Frühjahr kein spontaner Gang ums Haus, um am Abend die ersten lauen Lüftchen zu genießen und kein spontan erlebter Goldener Herbst mit farbigem Blätterrascheln unter den Füßen. Und weil viele Muslime nicht unter solchen Bedingungen leben möchten, schreibt Seyran Ates, halten sie lieber den Mund.
Das, Frau Faeser, wäre ein ziemlich dringlicher Tagungsordnungspunkt an zentraler Stelle für die nächste Islamkonferenz!