Heute Morgen Viertel nach Acht: Der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer beschwört erneut die Verantwortung des britischen Königshauses für den Sklavenhandel, attestiert „den Deutschen“ ein „unkritisches“ Verhältnis zu den Windsors und „koloniale Amnesie“. (Woher weiß der Mann, wie „die Deutschen“ über die Windsors, den britischen oder deutschen Kolonialismus denken? Mir scheint, hier ist ein Mensch am Werk, der, um seiner moralischen Selbsterhöhung Willen gern andere diskreditiert und sich dabei wenig um die empirische Verifizierbarkeit seiner Aussagen schert.) Elisabeth I. (1533 – 1603) habe den Sklavenhandel legitimiert, weiß Zimmerer zu berichten.
Was Zimmerer zu erwähnen vergaß, ist die Tatsache, dass der transatlantische Sklavenhandel am Beginn des 19. Jahrhunderts maßgeblich durch die Briten abgeschafft wurde. Das verabschiedete Verbot des Sklavenhandels durch europäische Staaten auf dem Wiener Kongress von 1815 ging auf britisches Betreiben zurück. Es waren britische Kriegsschiffe, die an der westafrikanischen Küste die Schiffspassagen mit versklavten Schwarzafrikanern stoppten und zur Umkehr zwangen. Und dies ganz sicher weder gegen den Widerstand noch hinter dem Rücken des britischen Königshauses!
Der transatlantische Sklavenhandel war grausam und verbrecherisch. Er kostete 12 Millionen Schwarzafrikanern die Freiheit und nicht wenigen von ihnen das Leben. Er ist ausgezeichnet dokumentiert und ganz gut aufgearbeitet. Selten wird darüber gesprochen, wie die portugiesischen, spanischen, niederländischen, französischen und britischen Händler zu den Schwarzafrikanern kamen, die sie in die NeueWelt verschifften und verkauften. An den Küsten lagen nur die Forts der Händler, für die sie erstens Tribut an die schwarzafrikanischen Eliten, die diese Regionen beherrschten, zu zahlen hatten, und die zweitens Schwarzafrikanern die bereits entrechteten und ihrer Freiheit beraubten Schwarzafrikaner abkauften. Jeder Schwarzafrikaner, der in die Neue Welt verkauft wurde, ist zuvor von anderen Schwarzafrikanern erjagt und versklavt worden.
Diese schwarz-weiße Arbeitsteilung des transatlantischen Sklavenhandels gehört zu seiner Geschichte und sollte nicht länger ausgeblendet werden. Es entlastet die „weißen“ Sklavenhändler und -besitzer nicht im Geringsten, dass „schwarze“ Sklavenjäger und -händler ihnen ihre Geschäfte erst ermöglichten. Es liegt auf der Hand, dass der „weiße“ Sklavenhandel den innerafrikanischen „schwarzen“ befeuerte. Angestoßen hat er ihn nicht.
Die aufzuarbeitende und zu erzählende Geschichte des transatlantischen Sklavenhandels wird durch das Einbeziehen des Anteils schwarzer Eliten daran weniger unterkomplex. Auf einmal ist dann nicht mehr „weiß“ = böse und „schwarz“ = gut. „Weiße“ und „Schwarze“ sind gleichermaßen böse wie gut und wir können den moralischen Standpunkt in dieser Angelegenheit verlassen, um uns auf die Aufbereitung und Verbreitung verizierbarer Fakten zu konzentrieren, die schwarze und weiße Wissenschaftler lange vor Agenda“wissenschaftlern“ wie Zimmerer erarbeitet haben. Namen von Forschern wie u. a. Orlando Patterson, Tidiane N’Diaye, Ibrahim Thioub, Robert Davis, Claude Meillassoux oder der vielgeschmähte Egon Flaig sind wichtiger, denn sie haben mit ihren Arbeiten die Grundsteine gelegt.
Der schwarzafrikanische Kontinent war die Lieferzone Nummer Eins im globalen Sklavenhandel. Das ist der Grund für die Lage, in der sich Schwarzafrika heute befindet. Doch die innerafrikanische „schwarze“ Versklavung „Schwarzer“ hat Jahrhunderte vor dem Eintreffen „weißer“ Europäer an der Westküste Afrikas begonnen und hörte mit der Intervention der Briten auch nicht auf. So verbrecherisch der europäische Kolonialismus im späten 19. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gewesen ist, er diente unter anderem der Abschaffung der innerafrikanischen Versklavung und hat dieses Ziel mit der Unterbindung der Versklavungskriege erreicht. Das antiwestliche und antiimperialistische Märchen von der Verelendung und Verarmung Schwarzafrikas aufgrund des europäischen Kolonialismus ist durch faktenbasierte Forschungen längst widerlegt. Was wir heute in den Nachrichten über Mali, den Sudan, Äthiopien, Eritrea, Somalia etc. hören, ist nicht die Folge des europäischen Kolonialismus, sondern die Restaurierung vorkolonialer Zustände mit moderner Waffentechnik, mit noch mehr Brutalität und mit noch mehr Korruption. Doch so wie heute einzig die Europäer gemeinsam mit den Ukrainern den mörderischen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beenden können, so können auch nur Schwarzafrikaner die zwischenstaatlichen Kriege und innerstaatlichen Bürgerkriege beenden.
Hass und Wut auf „Weiße“, die Zerstörung von Denkmälern, Statuen und „weißer“ Rationalität finden sich nicht zufällig ausschließlich in westlichen Metropolen. Es sind unproduktive Ersatzhandlungen und Ausweichmanöver, die nicht nur niemandem weiterhelfen, am allerwenigsten den „Schwarzen“ selber, sondern die schmerzliche Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung in sklavistische Systeme auf die lange Bank schieben.
Wenn Jürgen Zimmerer – wie heute erneut – den Raub der Benin-Bronzen durch die Briten Ende des 19. Jahrhunderts – zweifellos ein Unrecht – thematisiert, sollten die Interviewer des Deutschlandfunks langsam, aber sicher in der Lage sein, das Königreich Benin mit Menschenopfern, Versklavung und dem Verkauf von Schwarzafrikanern an „weiße“ Händler zusammenzubringen, damit ein halbwegs realistisches Bild entsteht.
Selbstredend kann kein Journalist im Handstreich zum Fachmann oder zur Fachfrau für Kolonialismus und Sklavenhandel werden. Zu solchen vielbesprochenen Themen ab und an mal einen Vortrag im Netz anzuhören oder in ein Buch zu schauen, sollte drin sein. Auch sollte sich herumgesprochen haben, dass die Vertreter der postkolonialen Studien – u. a. Zimmerer, Dirk A. Moses oder Nikita Dhawan – keine seriöse Forschung, sondern politisch-moralisches Nebelwerfen betreiben und zur Aufarbeitung des europäischen Kolonialismus einschließlich der wichtigen Restitutionsdebatten wenig beizutragen haben. Öffentlich-rechtliche Journalisten können sich bei ihren Kollegen informieren, die 2008 die noch immer sehenswerte ARTE-Dokumentation „Sklaven für den Orient“ gemacht haben.
Versklavung, Sklavenhandel, Kolonialismus und Rassismus sind eine Weltgeschichte, kein Alleinstellungsmerkmal „weißer“ Europäer, die im Gegenteil all dem ein Ende zu setzen begannen. Mit hohen moralischen Kosten, mit Waffengewalt und politischem Druck. Aus einer solchen Nummer kommt man nicht ohne Schaden zu nehmen heraus.
Freiheit und Menschenrechte haben ihren Preis. Es sollte genügen, ihn ein Mal gezahlt zu haben.