Das Haus der Kulturen der Welt, im volksmund „Schwangere Auster“ genannt, lernte ich Anfang der neunziger Jahre kennen, als dort ein vom damals schon schwerkranken Karsten Witte geleitetes Seminar zu schwarzafrikanischem Film stattfand, das ich besuchte. Sowohl die Filme ausnahmslos schwarzer Regisseure und Regisseurinnen als auch die Diskussionen darüber, waren erstklassig. Witte war anspruchsvoll, erwartete auch von seinen Studenten Niveau und konnte diesbezüglich deutlich werden. Geplapper und Geschwätz verboten sich. So lernte ich das HKW kennen. Seit Januar 2023 hat es einen neuen Intendanten.
Bonaventure Soh Bejeng Ndikung ist ein guter Sohn. Als er im Deutschlandfunk die Sendung „Klassik, Pop et cetera“ moderierte (22.04.), war der erste Song seinem Vater, einem Anthropologen, und der letzte seiner Mutter gewidmet. Die Musik war ganz nett. Eben das, was man im Kulturkaufhaus Dussmann in der CD-Abteilung World Music seit Mitte der 1990er Jahre bekommt.
Kein Blues. Kein Jazz. Kein Bossa Nova. Keine Klassik. Auch kein J(apanese)-Pop. Kein Raga, noch nicht mal Cesaria Evora, die, wenn ich mich recht entsinne, in den neunziger Jahren im HKW, dessen Intendant Ndikung jetzt ist, aufgetreten war. Wahrscheinlich alles zu professionell. Schließlich gehe es vor allem darum, dass man einander trifft, so Ndikung. Gemeinsam gut zu essen, sei einer der Schwerpunkte seiner bisherigen Arbeit gewesen und wichtig. Letzteres würde ich sofort unterschreiben, halte das aber nicht für Kunst.
Kunst, so Ndikung, der aus der kamerunischen Mittelschicht stammt, sei in erster Linie dazu da, um politische Botschaften zu transportieren. „Wer baute das siebentorige Theben?“ zitiert er begeistert Bertolt Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“. Sozialistischer Realismus ist also künftig im HKW der allerletzte Schrei. Welcome back in the late sixties!
Die Stimmen, die Ndikungs Nähe zur antisemitischen BDS-Kampagne – er hat sich der „Initiative GG 5, 3, Weltoffenheit“ angeschlossen, die gegen den Anti-BDS-Beschluss des Bundestages vom Mai 2019 protestierte -, seine Palästinasolidarität und seinen Israelhass beklagen, verstummen nicht. Vielleicht führt Ndikung in der Sendung auch deshalb eine Gedichtzeile der jüdischen Lyrikerin Rose Ausländer über Vaterlandsverlust an, von dem das unmittelbar zuvor verlesene Gedicht einer schwarzafrikanischen Lyrikerin aus einem der bürgerkriegsgeplagten Staaten des Kontinents ebenfalls handelte. Doch das Gleiche, oder? Schließlich haben die europäischen Juden nichts erlebt, das nicht vor ihnen schon die „Verdammten dieser Erde“, Schwarze, Inder, Araber usw. erlitten hätten, wie die postkolonialen Studien, die sich auf Aimé Césaire und W.E.B. Du Bois berufen, zu berichten wissen.
Manche afrikanischen Männer nennen ihre Frauen liebevoll „Sirup“, verrät Ndikung. Auch dann, wenn diese Frauen Feministinnen sind. So weit sind die Männer in Europa noch lange nicht.
Haben wir also alle Zutaten beisammen: Race, Class, Gender. Juden dürfen mitspielen, vorausgesetzt, sie sind keine Israelis oder Zionisten. Pünktchen, Komma, Unterstrich, fertig ist das Hauptgericht.
Bonaventure Ndikung ist kein Künstler – die hätten keine Zeit für Intendanzen -, scheint aber als studierter Biotechniker auch wenig von Kunst- und Kulturgeschichte zu verstehen. Kurator kann sich jeder nennen, der eine Ausstellung auch nur organisiert hat. Nun müssen Kulturmanager keine Kunstfachleute sein – das war sein Vorgänger Bernd M. Scherer gleichfalls nicht und das merkte man -, aber es schadet nicht, wenn man einen Schimmer von dem hat, was man den Leuten andreht.
Ich fürchte, in der Schwangeren Auster mitten im Berliner Regierungsviertel drehen sich mit Ndikung die Uhren rückwärts. Statt Kunst, Agitprop. Statt Wissenschaft, Ideologie. Statt Kultur, Identitätspolitik. Die Israelfeindschaft gibt’s als Schlagobers gratis drauf.