Der begnadete Zirkusclown Karandasch parodierte einmal die weit verbreitete Schaumschlägerei in der Sowjetunion: Er zerkleinerte mit gespielter Akuratess ein Würstchen, das sein Hund dann in Windeseile zu einem Tusch verschlang. Daran musste ich heute Morgen denken, als Luise Samman im Religionsmagazin „Tag für Tag“ des Deutschlandfunks über die jüngste Studie aus dem zentrum für Antisemitismusforschung zum Judenhass unter Muslimen berichtete und ich anschließend den Artikel über diese wissenschaftliche Großtat im „Tagesspiegel“ las. (https://epaper.tagesspiegel.de/article/9ef699264373b9cefe54124ba65f87f359fbb1a4886da94a752c0287bad56934)
Seit dreißig Jahren untersucht das Zentrum für Antisemitismusforschung nun schon aktuelle Studien über aktuellen Antisemitismus, die andere erstellt haben, anstatt selber aktuellen Antisemitismus zu erforschen. Gewöhnlich beginnen dann in Aufsätzen bierernst gemeinte Sätze mit Worten wie „Studien besagen“ oder „haben ergeben“. Sind immer die Studien der anderen, die eine ebenfalls immer gerade mal wieder brandneue Studie aus demHochhaus am Ernst-Reuter-Platz ergeben. Die Eigenleistung besteht in der Regel darin, dass die beunruhigenden Ergebnisse der anderen heruntergespielt und durch abenteuerliche Interpretationen entschärft, man könnte auch sagen: entstellt und verbogen werden. Das nennen die vom ZfA dann „Analyse“.Kommt man mit den Ergebnissen der anderen nicht klar, weil sie dem eigenen Wunschdenken diametral widersprechen, muss man Mühe darauf verwenden, sie zu VER-, statt zu ERklären.
Mit dem seltsamen Terminus „klassischer Antisemitismus“ meinen die den Judenhass der Moderne, der sich – aber um das zu wissen, müsste man verstanden haben, wie der vormoderne funktioniert – kaum von dem unterscheidet, den er ersetzen sollte.
Apropos ‚ersetzen‘:Groß in Mode kommt gerade – auch von Luise Samman empfohlen – die Alhambra-Gesellschaft, ein Verein, der im Jahr 2017 von ehemaligen DITIB- und IGMG-funktionären gegründet wurde. KeineReligionsgemeinschaft, versteht sich, reine Kulturarbeit. Mit politischem Anspruch, versteht sich ebenfalls. IGMG ist übrigens die IslamischeGemeinschaft Millî Görüs, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Zum politischen Islam gehören beide, die DITIB wie die IGMG. Es handelt sich also um Islamisten.
Die Alhambra-Gesellschaft versammelt enttäuschte DITIB- und IGMGFunktionäre und -anhänger, findet kritische Worte zu den islamistischen Verbänden und Vereinen, mit denen dieses Land reich gesegnet ist. Es wird sogar zum Verbot von „Samidoun“ aufgerufen, einer Vorfeldorganisation der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die die jüngsten antisemitischen Demonstrationen mit „Tod den Juden-“ und „Tod Israel“-Rufen in Berlin organisiert hatte. Das ist ausgesprochen löblich. Aber ist es glaubwürdig?
Mir scheint, hier wollen bloß Islamisten andere Islamisten, die an Reputation verloren haben, vom Spielfeld werfen, um sich selber als Partner anzubieten.
„Alhambra“ spielt auf die gleichnamige Festungin Al-Andalus an, in dem wir Juden, Christen und Muslime doch schon mal alle so friedlich unter islamischer Vorherrschaft gelebt haben, bis die spanische Reconquista diesem Paradies auf Erden ein ende setzte, die Juden und Muslime aus Spanien und Portugal vertrieb, die dann im kurz zuvor expandierten Osmanischen Reich Aufnahme fanden. Wenn das kein Zukunftsweisendes Programm ist!
Übrigens wurden die Juden aus christlichem Judenhass vertrieben, die Muslime aber, weil sie vorherSpanien erobert, islamische Fürstentümer errichtet und die Vorherrschaft über beide, Juden wie Christen ausgeübt hatten. Innermuslimische Querelen wurden seinerzeit gern militärisch unter Zuhilfenahme von Christen gelöst, so wie gegenüber in Kleinasien innerchristliche Querelen gern militärisch unter Zuhilfenahme türkischer Seldschukenfürsten. Es gab nur immer einen, der von allem außer Leid, Tod, Verfolgung und Vertreibung nichts hatte: die Juden.