Weil ich das alberne Spielchen aus DDR-Zeiten kenne, wo die Worte „faschistisch“ und „Faschist“ einzig und allein nur dazu dienten, demjenigen, der andere damit belegte, zur Selbstdarstellung als Antifaschist zu verhelfen. Der er ohne diesen Trick nicht gewesen wäre, weil ihn nichts dazu qualifiziert hätte. Etwas Ähnliches veranstalteten im Westen die 68er und die, die sich in ihren Bahnen bewegen sollten: „Wer zuerst ‚Faschist“ sagt, hat gewonnen.“
Seit den späten vierziger Jahren wurden in der DDR auch all die Menschen mit dem Attribut „faschistisch“ delegitimiert, die zwischen 1933 und 1945 weder Nationalsozialisten noch Rechtskonservative gewesen sind, sondern sich nach Kriegsende lediglich nicht auf SED-Parteilinie befanden: Abweichler innerhalb der eigenen Reihen, Liberale, Sozial- und Christdemokraten, Oppositionelle aller Art. Daran änderte auch der Tod Stalins Anfang März 1953 vorerst nichts, der zwar die antizionistische Kampagne stoppte, in deren Verlauf übrigens auch abweichlerische jüdische Kommunisten als „Faschisten“ tituliert wurden -, aber nicht die Bekämpfung der ostdeutschen Opposition, seien es Jugendliche, seien es renitente Bürger, seien es Arbeiter, Künstler, Wissenschaftler gewesen.
Auch die Bundesrepublik galt im Osten als „faschistischer“ Staat, der gesamte Westen und die Vereinigten Staaten sowieso. Für die Bundesrepublik verlieh die dortige Elitenkontinuität der Qualifizierung eine Zeit lang Plausibilität. Für den marktwirtschaftlichen Westen musste die in der DDR bis zum Mauerfall geltende Faschismus-Definition des bulgarischen Kommunisten Georgie Dimitroff aus den dreißiger Jahren herangezogen werden, wonach sich der Faschismus geradezu gesetzmäßig und damit zwangsläufig aus Kapitalismus und Imperialismus ergibt.
Weil die Methode „Bestrafe einen, erziehe viele“ in Diktaturen unschlagbar gut funktioniert, bedurfte es in den sechziger Jahren in der DDR keiner Schauprozesse, keiner langjährigen Haftstrafen für praktisch kein Vergehen und keiner dämonisierenden Etiketten mehr. Die Verfahrensweisen von Staatssicherheit und Justiz änderten sich und waren auf eine andere Weise grausam, aggressiv und restriktiv. Die westdeutschen „Faschisten“ waren auf einmal „Rechte“ und „Reaktionäre“. Dabei gab es diese Titel übrigens bereits für SPD-Mitglieder und -wähler. Man musste noch nicht mal konservativ sein.
Es ist mehr als eine Ironie des Schicksals, es ist bezeichnend, dass die SED-Genossen die rechtsextremen Jugendlichen – die wir Faschos nannten – der achtziger Jahre in der DDR öffentlich als „Rowdys“ verharmlosten. Inoffiziell setzte man sie gern als Ordnungsfaktoren und bei der Bekämpfung verhasster Oppositioneller ein.
Was wir heute mit den schnell verliehenen Etiketten „Rechts“, „rassistisch“ oder „islamophob“ erleben, ist naturgemäß nicht ganz das Gleiche, auch wenn sich die Strategien aufs Haar ähneln. Die selbsterklärten Linken, die bei Licht besehen überhaupt keine Linken sind, nennen alles und jeden, das und der ihnen nicht passt „rechts“, weil sie erstens keine Argumente haben, mit denen sie in einer Debatte bestehen könnten, weshalb sie die vermeiden, zweitens wenig bis gar kein historisches Wissen über den Stalinismus oder den real existierenden Sozialismus haben und weil sie drittens nichts dazu qualifiziert, Linke zu sein. Damit sie sich aber selbst als Linke verstehen können, müssen sie alle als „Rechte“ titulieren, die eine von der ihren abweichende Meinung vertreten, unabhängig von deren Gehalt.
Besonders lustig wird es, wenn sich Vertreter von Identitätspolitik als „progressiv“, „links“ und „antirassistisch“ verkaufen und daran zu allem Überfluss auch noch selber zu glauben scheinen.
Denn erstens ist ihr exotistischer Ethnozentrismus um keinen Deut besser, genauso reaktionär und genauso rassistisch wie jener der Germanophilen und Deutschtümler von der NPD bis zum berüchtigten Flügel der AfD. Zweitens ist die antirassistische Obsession – wir müssen die Bio-Deutschen mit arabischen und schwarzafrikanischen Zuwanderern schwemmen, um ihre biologische Substanz so gründlich zu kontaminieren, dass sie schließlich verschwindet – mindestens ebenso rassistisch wie die Ideologie der Nazis, die by the way nicht aus der unterstellten bösen Biologie der Deutschen kam, weshalb man sie mit der vermeintlich guten Biologie der Araber und Schwarzafrikaner auch nicht aus der Welt schaffen wird. Im Gegenteil. Ein solcher Aberglaube grenzt an magisches Denken, verrät einen Mangel an Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und deutscher Geschichte – allein der Dreißigjährige Krieg dürfte die vermeintlich reine ethnische Substanz mit seinen Söldnerheeren noch einmal kräftig aufgemischt haben – und kennt ganz offenkundig auch die Geschichte der europäischen Nationalstaaten nicht.
Drittens ist es absurd zu glauben, dass beispielsweise der immerhin einst völkermörderische türkische Nationalismus und Rassismus ein guter wäre, weil er hierzulande minoritär ist, während der deutsche, französische, britische, niederländische etc. als böser zu bekämpfen ist.
Die deutsche Sozialdemokratie hat übrigens seinerzeit zum Völkermord an den Armeniern genauso eisern geschwiegen wie alle Parteien im wilhelminischen Kaiserreich. Zwar war die CHP, die sozialdemokratische Schwesterpartei in der Türkei damals noch nicht gegründet und Atatürk obschon Jungtürke, so doch als Gegner Enver Paschas nicht in den Genozid verwickelt, aber wir sollten nicht vergessen, dass es die „progressiven“ Kräfte im Osmanischen Reich gewesen sind, die den Völkermord anordneten und verübten. Talât Pascha, einer seiner jungtürkischen Organisatoren, wurde 1921 in Berlin auf der Hardenbergstraße von einem armenischen Studenten erschossen, wo er auch begraben wurde. Seine sterblichen Überreste wurden 1943 von den Nationalsozialisten unter militärischen Ehren nach Istanbul überführt.
Zur „Islamophobie“, die es genauso wenig gibt wie den „antimuslimischen Rassismus“, und zur Islamfeindschaft, die es in sehr geringen Maß tatsächlich gibt, etwa bei Pegida oder bei Teilen der AfD sowie erstaunlicherweise bei Rechtsextremisten. Erstaunlicherweise deshalb, weil die Nationalsozialisten den Islam ganz passabel fanden, Heinrich Himmler seine autoritär-totalitären Züge lobte und Adolf Hitler den Palästinenser Haj Amin al-Husseini als „Führer der Araber“, der er überhaupt nicht gewesen ist, empfing. Al-Husseini war Mufti von Jerusalem und hatte sich seit 1933 ebenso intensiv wie hartnäckig und wiederholt, aber lange erfolglos um eine Kooperation mit den Nationalsozialisten bemüht. Al-Husseini war beides: arabischer Nationalist und Islamist. Vor allem stand sein tief verwurzelter Antisemitismus dem der Nationalsozialisten in nichts nach. Nachdem sich Hitler mit ihm schließlich 1941 in Berlin der nationalsozialistischen Öffentlichkeit präsentiert hatte, finanzierten ihn die Nazis bis Kriegsende geradezu fürstlich. Er baute nicht nur SS-Divisionen auf, sondern legte in Deutschland und im schweizerischen Genf den Grundstein für die Strukturen des politischen Islam arabischer Provenienz, mit denen wir heute zunehmend konfrontiert sind.
Dass die Palästinasolidarität jungfräulich und links wäre, glaubten vielleicht die historisch notorisch ungebildeten 68er, wobei ihr Glaube vom gesamten Ostblock, allen voran von der Sowjetunion bestärkt wurde. Doch gerade in Deutschland ist Palästinasolidarität immer beides zugleich, sowohl nationalsozialistisch als auch kommunistisch, in jedem Fall aber antisemitisch. Wenn ideologisch schwer verwirrte Geister wie die Journalistin Charlotte Wiedemann durch die Gegend ziehen, um für Empathie mit den Palästinensern zu werben, stehen sie ganz in der Tradition der Nazis und des Ostblocks. Dass Wiedemann darüber hinaus historische Unwahrheiten verbreitet, weil es zu Flucht und in weit geringerem Umfang zur Vertreibung der arabischen Bevölkerung Palästinas nie gekommen wäre, wenn die arabischen Anrainer die jüdische Bevölkerung Palästinas nicht unmittelbar nach Verkündung des UN-Teilungsplans vom 29. November 1947 und der Staatsgründung Israels am 14. Mai 1948 mit Waffengewalt überzogen hätten, unterschlägt sie selbstredend.
Ein europäisierter Islam wie ihn die Imamin Seyran Ates in ihrer Ibn Rushd-Goethe-Moschee praktiziert, ist begrüßenswert. Darüber hinaus aber ist der Islam genauso problematisch wie es das Christentum wäre – und teilweise noch immer ist -, wenn wir in Europa nicht seit wenigstens 250 Jahren seine Macht sukzessive beschränkt hätten. Es ist übrigens Unsinn zu behaupten, dass Nationalsozialisten und Kommunisten bzw. Staatssozialisten so etwas wie natürliche Feinde des Christentums gewesen wären. Als Sozialisten, egal, ob nationale oder internationale, waren sie Vollender christlicher Ideen, weshalb man beide politische Ideologien zu Recht politische Religionen genannt hat. Ohne die seit fast zweitausend Jahren tief verankerte Judenfeindschaft selbst noch ihrer politischen Gegner hätten die Nationalsozialisten die Shoa niemals ins Werk setzen können! Denn diese Judenfeindschaft ist christlich-islamisch. Ich rede hier nicht von Christen und Muslimen als Individuen, sondern von den Glaubenssystemen Christentum und Islam, die in ihrem Kern und nicht nur beiläufig antijüdisch sind. Hierzulande beginnen Christen langsam, sich dieser Tatsache zu stellen, eine ganze Reihe in den letzten 50 Jahren eingewanderter Muslime tun das mit ihrer Islamkritik ebenfalls. All das sind zarte Pflänzchen, die, um zu wachsen, staatliche Unterstützung benötigen.
Wissenschaft, Kunst, Frauen-, Bürger- und Menschenrechte, die liberale Demokratie etc., die alle an das Individuum und nicht an ein wie auch immer geartetes – ethnisches, religiöses, völkisches, sozialistisches, nach Hautfarbe spezifiziertes – Kollektiv gebunden sind, haben sich allesamt NICHT MIT dem, sondern GEGEN das Christentum durchgesetzt. Die christliche Religion kann, ja muss heute von Christen in Europa als Privatangelegenheit betrachtet und gelebt werden.
Im Abendland wie im Morgenland lebten Juden lange bevor beide Regionen christianisiert wurden. Denn auch das Morgenland war teilweise bis weit ins zweite Jahrtausend hinein von Juden und Christen bewohnt. Merkwürdigerweise übersehen das Historiker wie Wolfgang Benz, wenn sie von Muslimen als den „Feinden aus dem Morgenland“ herumbramarbasieren. Nordafrika und Jerusalem wurden zwar noch im letzten Drittel des ersten Jahrtausends islamisiert, das christliche Byzanz aber erst ab dem 14. Jahrhundert. Istanbul war zunächst 1000 Jahre lang das griechisch-orthodoxe Konstantinopel und die Hagia Sophia eine Basilika, bevor es von Mehmed II. 1453 erobert wurde, worauf Recep Tayyip Erdogan hinzuweisen nicht vergaß, als er das seit Atatürk als Museum fungierende Bauwerk im Jahr 2020 kurzerhand wieder in eine Moschee zurückverwandelte.
„Islamisiert“ bedeutete nicht, dass die jüdische und die christliche Bevölkerung im Morgenland zum Islam konvertieren musste, aber sehr wohl, dass sie den Status zweit-, ja drittklassiger Menschen erhielt, nicht die gleichen Rechte und kaum noch Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten hatte, von Säkularisierungsprozessen ganz zu schweigen. Fortan gab der Islam den Takt vor. Sämtliche Entwicklungen, die in Europa seit dem Humanismus der Renaissance von Jahrhundert zu Jahrhundert gegen das Christentum durchgesetzt werden mussten, konnten in islamischen und islamisch geprägten Ländern entweder nur eingeschränkt und sehr spät – Buchdruck, Wissenschaft – oder aber gar nicht – Frauen-, Bürger- und Menschenrechte, liberale Demokratie – Fuß fassen.
Wenn hierzulande Muslime wie Ferda Ataman, Mohammed Amjahid oder Kübra Gümüsay ausdauernd eine angebliche Diskriminierung von Muslimen und eine Benachteiligung des Islam beklagen, projizieren sie einerseits die Zustände ihrer Herkunftsländer auf Europa und Deutschland und blenden andererseits aus, dass der Islam in Europa mit Ausnahme des osmanisch eroberten Balkans keinerlei kulturhistorische Traditionen hat, folglich nicht die gleiche Rolle spielen kann wie das tatsächlich über Jahrhunderte diskriminierte und verfolgte Judentum und das inzwischen erfolgreich eingehegte und weitgehend entmachtete, im Übrigen viel kritisierte Christentum. Es ist unmöglich, dem Islam in Europa die gleiche Bedeutung einzuräumen, die das Christentum einst hatte und glücklicherweise nicht mehr hat. Muslimische Einwanderer müssen sich leider damit abfinden, so, wie das christliche Einwanderer aus Europa in der Türkei, in Saudi-Arabien, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Kuwait, im Iran, in Pakistan oder in Afghanistan tun müssten, würde es sie denn freiwillig dorthin verschlagen. Geschichte muss man akzeptieren, denn man kann sie nicht rückwirkend ändern. Und anders als die ins britische Mandatsgebiet ein- oder zurückgewanderten europäischen Juden, die im heutigen Israel gerade mal noch die Hälfte der jüdischen Bevölkerung ausmachen, weil die aus islamischen Ländern geflohenen oder vertriebenen Juden dort inzwischen die Mehrheit stellen, haben europäische und orientalische Christen eben keine gemeinsame Geschichte.
Eingewanderte Muslime, die dem politischen Islam nahestehen oder identitätspolitisch unterwegs sind, scheinen dem Dominanzstatus nachzutrauern, den sie in ihren Herkunftsländern oder denen ihrer Eltern und Großeltern Juden und Christen gegenüber innehatten. Eine auch nur im Ansatz vergleichbare Position haben Christen gegenüber Muslimen nirgends auf der Welt jemals eingenommen, noch nicht einmal im religiösen Proporzsystem des Libanon zwischen seiner Gründung und dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1975. Selbst die französischen und britischen Kolonialsysteme des 19. Und frühen 20. Jahrhunderts in Nordafrika privilegierten Christen nicht gegenüber Muslimen, weil Politik und Religion in den Kolonialstaaten längst getrennt waren. So, wie in der seit Atatürk laizistischen Türkei, bis Erdogan die Uhren religionspolitisch rückwärts laufen ließ. Christen sind numerisch in Europa in der Mehrheit, doch mehr Rechte haben sie dadurch längst nicht mehr und für Chancengleichheit ist das entscheidend.
Das sind die Gründe dafür, dass ich Label wie „rechts“, „rassistisch“, „islamophob“ nicht fürchte: Sie sind meist haltlos und verraten mehr über den, der sie vergibt, als über den, den sie einschüchtern und delegitimieren sollen.