Seit meiner Erblindung vor sieben Jahren höre ich den Deutschlandfunk. Vorher scrollte ich allmorgendlich etwa eine Dreiviertelstunde durch die online-Angebote von „Tagesspiegel“ über „Welt“ und „FAZ“ bis hin zur „Süddeutschen“, manchmal auch bis hin zur „taz“, um über das, was in Deutschland und in der Welt vor sich geht, auf dem Laufenden zu bleiben. Die „Tagesthemen“ sah ich nur gelegentlich im Netz. Arte, 3sat, ARD und ZDF nutzte ich ausschließlich für Dokus und Reportagen zu Themen, die mich interessieren. Rückblickend habe ich nicht das Gefühl, damals zum Tagesgeschehen unzureichend informiert gewesen zu sein. Im Gegenteil.
Für unentbehrlich halte ich öffentlich-rechtliche Medien dennoch. Ganz einfach, weil sie die Vermittlung einer verbindlichen Faktenbasis sicherstellen können. Nur müssten sie das eben auch tun. Daran haperte es in den letzten Jahren. Öffentlich-rechtliche Medien haben einen Informations- und Bildungsauftrag. Erziehungsberechtigt sind sie nicht. Einen politischen Werbe-Auftrag hat ihnen ebenfalls niemand erteilt. Warum so viel Skandalöses aus den eigenen Reihen nicht durch sie selbst, sondern durch Journalisten privatwirtschaftlich finanzierter Medien aufgedeckt wird, bleibt ihr Geheimnis.
Noch immer höre ich täglich Deutschlandfunk. Ich habe meine drei, vier Lieblingsmoderatoren und -berichterstatter. Über den russischen Vernichtungskrieg in der Ukraine werde ich ausgezeichnet informiert. Die Israel-Berichterstattung dagegen ist – wie in allen öffentlich-rechtlichen Medien – unterirdisch schlecht. Aber das ist ein Kapitel für sich. Aufs Ganze gesehen gelingt das mit dem Informationsauftrag. Am besten durch die Journalisten, die mir Fakten vermitteln, sie sachlich aufbereiten und fachmännisch einordnen, ohne zu moralisieren, Bekenntnisse abzulegen oder mir implizit Botschaften zukommen zu lassen, wie ich darüber zu denken hätte. Wenn ich gar nicht erst anfange zu spekulieren, welche Partei der jeweilige Moderator oder Berichterstatter wählt, welchen Ideenmoden er anhängt oder wie er persönlich zu diesem oder jenem Sachverhalt steht, klappt das perfekt. Das ist oft, aber längst nicht immer der Fall.
Manchmal hatte ich in den letzten Jahren den Eindruck, dass der eine oder andere Journalist vom Deutschlandfunk bei einer NGO im „Kampf gegen Rechts“, in einer Flüchtlingshilfeorganisation, in der „taz“, im „Neuen Deutschland“ oder beim „Freitag“ von Jakob Augstein besser aufgehoben wäre, als in einem öffentlich-rechtlichen Sender, in dem sich missionarischer Eifer, Bekenntnisdrang und politisch-moralisches Schaulaufen in eigener Sache verbieten sollten. Man hört, ob und wie jemand ideologisch sozialisiert wurde. Egal, ob in den achtziger Jahren oder seit Mitte der Nullerjahre.
Wenn beispielsweise einem EU-Abgeordneten anlässlich des Bus-Transfers von Flüchtlingen an die griechische Grenze durch den türkischen Präsidenten Erdogan im Interview empört entgegengehalten wird, es handle sich bei den Flüchtlingen um Menschen, als sei der EU-Abgeordnete ein Ausbund an Unmenschlichkeit, weil er auf die Einhaltung des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei pocht und Erdogan, nicht aber Europa in der Pflicht sieht. Botschaft: Wer nicht alle Menschen, die wollen, in die EU einreisen lässt, ist ein Menschenfeind. Man hörte es auch, als ein anerkannter, der SPD beigetretener Flüchtling interviewt wurde und trotz Hilfestellung in Form von Suggestivfragen nicht in der Lage gewesen ist, vernünftig zu antworten. Warum führt ein Interviewer, der es gut mit Flüchtlingen meint, einen von ihnen so schonungslos vor?! Quod erat demonstrandum? Botschaft: Ich bin ein guter Mensch und die Aufnahme so vieler Menschen – meist junger Männer – ist eine uneingeschränkte Erfolgsgeschichte, was bei einem Drittel der zwischen 2013 und 2016 als Flüchtlinge eingewanderten Menschen ja tatsächlich der Fall ist, bei zwei Dritteln aber nicht. Und man hört es, wenn sich Interviewer bei Interviewten die Bestätigung abholen, dass die Bundesrepublik ein Problem mit strukturellem Rassismus hat. Ein Vorwurf übrigens, den die woke Welle dem gesamten Westen macht. Weder der interviewte, von mir hochgeschätzte, betagte Erzliberale wusste – darauf verwette ich meinen Kopf -, was mit dem Begriff des „strukturellen Rassismus“ gemeint ist, noch die Interviewerin. Wäre die Bundesrepublik strukturell rassistisch, müsste es Gesetze, mindestens Verordnungen geben, wonach Staatsbürger – praktisch par ordre du mufti – aufgrund ihrer Hautfarbe und/oder ethnischen Herkunft diskriminiert würden, was schon das Grundgesetz ausdrücklich verbietet. Auch für das, was gern als „institutioneller Rassismus“ bezeichnet wird – die schlechtere Beurteilung von Schülern mit Einwanderungsgeschichte an Schulen -, gibt es empirisch bislang keinen Beleg. Es dürfte auch schwerfallen, ihn zu erbringen. Begriffe wie „struktureller“, „institutioneller“ oder „systemischer Rassismus“ entstammen der Critical Race Theory und ihrem Umkreis, sind daher alles andere als solide wissenschaftliche Kategorien.
Das Beispiel, das unsere Integrationsministerin Reem Alabali-Radovan – eine sympathische junge Frau – in einer Pressekonferenz für strukturellen Rassismus anführte, weil Murat und Max für die gleiche Fehlerzahl im Diktat unterschiedliche Notenerhielten, ist keines. Denn erstens war das Beispiel aus einer Studie ein typisches Laborprodukt. (War die Art der Fehler im Diktat dieselbe?) Zweitens müsste man, um ein aussagekräftiges Ergebnis zu bekommen, die gleichen Versuche mit weiteren durch Vorurteile belasteten Vornamen (Kevin, Nadin, Chantal etc.) wiederholen, die Ergebnisse miteinander abgleichen und die Vorurteilsfaktoren von sozialer und ethnischer Herkunft glasklar voneinander trennen können – was so gut wie unmöglich ist -, hätte dann aber drittens noch immer keine empirisch belastbare Aussage über Rassismus an deutschen Schulen getroffen, sondern nur ein weiteres Glasperlenspiel absolviert. Die meisten türkischen Einwanderer waren keine Akademiker, weshalb ihre Kinder den gleichen Vorurteilen ausgesetzt sind wie die Kinder aus autochthonen nichtakademischen Elternhäusern. Nicht jede Ungleichbehandlung = Diskriminierung ist rassistisch. Kurzum: Es gibt in diesem Land Alltagsrassismus wie Sand am Meer, aber keinen strukturellen oder institutionellen Rassismus.
Die schrillsten antiwestlichen und identitätspolitisch gefärbten Töne hörte und höre ich im Deutschlandfunk aus den Kulturredaktionen. Was wenig verwundert, denn die Kultur- und Bildungswissenschaften sind für ideologische Verzerrtheiten am empfänglichsten und aus den Reihen der Absolventen dieser Fachrichtungen rekrutieren die öffentlich-rechtlichen Sender nun mal ihr Personal und ihren Nachwuchs. Es ist beredt, dass sich scheinbar niemand darunter befindet, der ein Vokabular wie „kulturelle Aneignung“, „globaler Süden“, „kulturelle Dominanz“, „Kulturimperialismus“, „struktureller Rassismus“, „kolonialer Blick“ oder „koloniale Geste“, das Triumvirat „Race, Class, Gender“ etc.pp kritisch auseinanderzunehmen vermag. Es kommt nicht von ungefähr, dass es kein fundiertes Feature zu arabischem Rassismus und Sklavenhandel oder zum innerafrikanischen Sklavenhandel gibt.
Zu „Rechten“ und Rechtsextremisten. Horst Seehofer von der CSU – sein Vater war laut wikipedia Lastkraftwagenfahrer, soviel zur sozialen Mobilität in der Bundesrepublik – hatte nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke durch einen Rechtsextremisten im Juni 2019 gesagt, dass Rechtsextremismus die größte Gefahr in diesem Land sei. Das rechtsterroristische Attentat auf die Hallenser Synagoge im Oktober 2019 und der rechtsterroristische Anschlag in Hanau vom Februar 2020 bestätigen das. Nicht zu vergessen die NSU-Morde der Nullerjahre. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Rechtsextremismus eine der größten Gefahren hierzulande ist. Aber was besagt der Superlativ? Soll er eine Prioritätensetzung in der Behandlung der Extremismen durch Behörden und Politiker suggerieren? Soll er das öffentliche – und das heißt: das mediale – Bewusstsein für andere politische Extremismen ruhigstellen? Was ist mit den nichtautochthonen Rechtsextremismen und Rechtsnationalismen, die spätestens nach dem Kinostart von „Tal der Wölfe“ im Jahr 2006 auf deutschen Straßen sichtbar wurden? Was ist mit dem mitgliederstärksten Verein ATIB im „Zentralrat der Muslime“, den türkischen Rechtsextremisten? Zählen Innenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang auch ihn zur „größten Gefahr für die Demokratie in Deutschland“? Wieso fragt sie all das kein öffentlich-rechtlicher Journalist? Gelegenheit dazu gab es erst kürzlich im „Interview der Woche“ mit Haldenwang. Es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, den ideologischen Link zwischen Rechtsextremisten und Islamisten aufzuzeigen und auch die in meinen Augen inzwischen demokratiegefährdende, aus der NGO-Szene stammende, schlagwortartige und manipulative Gleichsetzung von „rechts“ und Rechtsextremismus aufzulösen. Erst recht dann, wenn die AfD – meiner Meinung nach zu Recht – ein Verdachtsfall geworden ist. Und wenn Protagonisten von „Fridays for future“ und der „Letzten Generation“ Demokratie und Rechtsstaat den von ihnen verfolgten Klimazielen ausdrücklich unterordnen, richtet sich das ebenso gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und sind sie ebenso verfassungsfeindlich unterwegs wie legalistische Islamisten und legalistische Rechtsextremisten.
Wenn es übrigens nach der Anzahl an Todesopfern und teilweise schwer Verletzten geht, die es querbeet unter den auf dem Territorium der Bundesrepublik lebenden Menschen gibt, egal, ob Flüchtling, Menschen mit und ohne deutschen Pass, Neu- oder Altbürger, differieren Rechtsextremisten und Islamisten – gemessen am Bevölkerungsanteil – im letzten Jahrzehnt nicht so furchtbar voneinander. Das kann einem öffentlich-rechtlichen Journalisten, der die offiziellen Statistiken kennt und interpretieren kann, auch auffallen! Und in solchen Fällen scheiden Verzerrungen infolge des Anzeigeverhaltens aus. Allerdings zähle ich jeden Attentäter, der bei seiner Tat Allahu Akbar schreit, zu einem Islamisten, und Brüder, die ihre Schwester ermorden, weil sie nach hier üblichen Gepflogenheiten leben will, ebenfalls dazu, weil sie Fundamentalisten sind.
Der politische Islam = legalistische Islamismus, in Deutschland vor allem durch die Islamverbände repräsentiert, taucht im Horizont der Bundesinnenministerin als Gefahr für die Demokratie überhaupt nicht auf. Wieso stellt kein öffentlich-rechtlicher Journalist den offenkundigen Kotau vor Islamisten durch ein Regierungsmitglied zur Debatte?!
Ich höre im Deutschlandfunk ganz gern das „Kalenderblatt“, das täglich ein datierbares Ereignis der allgemeinen Geschichte, der Kunst-, Kultur-, Wissenschafts- oder Alltagsgeschichte erzählt. Am 16. Juli 2022 erfuhren die Hörer, dass auf den Tag genau vor 1400 Jahren der islamische Prophet Mohammed von Mekka nach Medina – das damals übrigens noch Yathrib hieß und heute für Nichtmuslime gesperrt ist – aufgebrochen sei. In Anbetracht der Tatsache, dass die Faktizität einer durch und durch mythisch-religiösen Figur namens Mohammed noch nicht einmal hinreichend belegt ist, war das eine Beleidigung des gesunden Menschenverstands. Die Lebensgeschichte des Propheten ist eine etwa 150 Jahre nach seinem angenommenen Tod verfasste Legende ohne gesicherte Evidenz. Und dann soll irgendetwas davon auch noch auf Jahr und Tag genau datierbar sein?! Bitte, welcher Redakteur im Deutschlandfunk segnet einen solchen Unsinn zur Ausstrahlung ab? Ich hätte den Vorschlag zu einem solchen Beitrag freundlich, aber bestimmt mit den Worten „nice try“ zurückgewiesen, weil nur Fundamentalisten die Lebensgeschichte des Propheten für bare Münze nehmen. Haben wir nächstens mit Kalenderblättern zur Brotvermehrung oder zu Jesus‘ Gang übers Wasser zu rechnen? So etwas würde noch nicht mal das Domradio bringen.
Auch die deutsche Flüchtlings- und Migrationspolitik, die ja sehr wohl Fragen zum politischen Islam aufwirft, da viele, wenn auch nicht alle Asylbewerber und nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannten Flüchtlinge Muslime sind – die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine klammere ich aus -, wurde im Deutschlandfunk bis kurz vor knapp in der letzten „Kontrovers“-Sendung vom 13. Februar fast ausschließlich zustimmend diskutiert. Für Kritik lud man bis vor nicht allzu langer Zeit Mitglieder der AfD ein, wodurch der Eindruck entstand, dass man den Positionen dieser Partei mindestens nahestehen müsse, wenn man die ungeregelte Einwanderung kritisch sieht oder gar prinzipiell verwirft. Heute weist man im Deutschlandfunk die Rolle der Kritik an dieser Politik und an Integrationsdefiziten der CDU zu. Ich habe im Deutschlandfunk noch nie Vertreter von SPD und Grünen bei diesem Geschäft erlebt, obwohl es sie gibt!
Ein Fall wie die tödliche Messerattacke in Illerkirchberg, die das Leben einer vierzehnjährigen Schülerin kostete, gehört in die Hauptnachrichten und nicht in die Regionalberichterstattung von „Deutschland heute“. Denn solche Attacken finden seit Jahren von Hamburg bis Würzburg statt und können jede und jeden treffen, weshalb sie nicht nur regional von Bedeutung sind. Durch kundige Fachleute eingeordnet, lanciert eine solide Berichterstattung auch keine Ressentiments gegen Flüchtlinge, die ja solchen Attacken ebenfalls zum Opfer fallen können.
Damit der Deutschlandfunk und andere öffentlich-rechtliche Sendeanstalten die erste Adresse für eine allen gemeinsame Faktenbasis bleiben können, müssten die ungeliebten Tatbestände erstens schnörkellos und sachlich berichtet, zweitens sachkundig kommentiert – nicht wie jüngst durch eine Migrationsforscherin a la die Deutschen sind nicht offen genug, weshalb es zur Berliner Silvesternacht kam – und kontrovers diskutiert werden. Markus Lanz hat in den letzten Wochen in mehreren Sendungen gezeigt , dass und wie das geht. Die „Kontrovers“-Sendung vom letzten Montag mit Ahmad Mansour und Christoph de Vries (CDU) war zumindest ein Anfang.