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Islam und Theater? Beißt sich!

Heute hörtte ich amüsiert im Deutschlandfunk – mit anklagendem Unterton, wie sollte es anders sein -, dass der Islam im Theater hierzulande nicht oder kaum vorkäme. Kommt eigentlich das Christentum im Theater vor? Überhaupt in der Kunst? Ja, durchaus, denn es gibt beispielsweise die Gregorianischen Gesänge, Passionsspiele, mit u. a. Händels „Messias“, Bachs Passionen seit dem Barock eine Menge heute (!) als Kunst wahrgenommene christliche Musiktradition und auch ein, allerdings immer schon weltliches Musiktheater. Es war übrigens Felix Mendelssohn Bartholdy, der Bachs „Matthäus-Passion“ in die Konzertsäle ein- und damit in die Kunstwelt überführte. Die Maler und Bildhauer der Renaissance wären ohne den Humanismus undenkbar gewesen und auch wenn ihre Motive der christlichen Bibel entstammten, war ihre künstlerische Darstellung alles andere als christlich. Damit ist nicht gesagt, dass ihre Vorstellungen davon, was gut oder böse ist, nicht christlich grundiert gewesen wären. Ihre Plastiken und Gemälde wären im Islam undenkbar, ganz einfach, weil dort bildliche und figürliche Darstellungen all dessen, was Schatten wirft, untersagt wurden. Auch darum gibt es im Islam kein Theater, das übrigens griechisch-hellenistischen, nicht christlichen Ursprungs ist. Das biblische Bilderverbot hatte und hat seinen guten Sinn darin, dass es das Anbeten jedweder Autorität außer Gott unterband, damit auch das buchstäbliche und übertragene In-die-Knie-gehen und Niederwerfen vor Menschen und Dingen. Im Judentum hat das geklappt, im Christentum – siehe Jesus – und im Islam – siehe Mohammed – nicht. Es ist kein Zufall, dass der moderne Personenkult ausgerechnet in christlich und islamisch geprägten Kulturen Fuß fasste.
Natürlich gab es im Orient immer Kunst. Denn erstens war der Orient in seiner kulturellen und künstlerischen Vielfalt schon einige Jahrtausende alt, als der Islam im 7. Jahrhundert aus jüdischen und christlichen Quellen entstand. Zweitens verschwanden weder die ägyptische, jüdische, babylonische, persische, indische, chinesische, griechisch-hellenistische, römische, armenische (!), byzantinische etc.pp und damit auch nicht die christliche Kultur aus der Region, als der Islam seine Eroberungszüge startete. Byzanz und damit Konstantinopel fielen erst 1453. Viel zu spät, als dass der Islam kulturprägend für die gesamte östliche Mittelmeerregion hätte gewesen sein können. Drittens war die Blütezeit des Islam während des Kalifats in Bagdad gerade durch offene Debatten mit jüdischen und christlichen Gelehrten und durch Übersetzungen aus dem Aramäischen, Griechischen, Persischen etc. ins Arabische charakterisiert. Die „Erzälungen der Schehersâd aus den tausendundein Nächten“ sind eine solche Übersetzung ins Arabische aus dem 9. Jahrhundert. https://www.sylke-kirschnick.de/2021/11/07/sheherazad-brauchte-keine-cliffhanger/ Sie sind fraglos Weltliteratur, aber eben nicht, weil sie originär arabisch-islamisch wären, sondern deshalb, weil sie das gerade nicht sind.
Aus dem Hedschas, dem Kerngebiet des Islam, sind weder Musikinstrumente oder Kultlyrik (Psalmen) wie aus der hebräischen Bibel noch Epen wie die „Ilias“ oder die „Odyssee“ aus dem heutigen kleinasiatischen Raum und der Schwarzmeerregion überliefert, aus denen die Dramatiker Aischylos, Sophokles und Euripides viele ihrer Stoffe bezogen und ab dem 6./5. Jahrhundert v. u. Z. auf die attische Theaterbühne brachten. Weder die Shakespeare-Bühne noch die englischen Komödianten hatten viel mit dem Christentum am Hut – es sei denn, es ging wie im „Kaufmann von Venedig“ gegen Juden. Die moderne europäische Theatertradition seit dem 18. Jahrhundert hat sich gegen und nicht mit dem Christentum durchgesetzt. Wenn Autorinnen und Autoren, Darstellerinnen und Darsteller gläubig waren, dann als Privatpersonen, und wenn sie das Christentum auf die Bühne brachten, dann in kritischer Absicht und als Stoff, nicht wie in den Passions- und Krippenspielen als Bekenntnis. Wenn der Islam aber noch nicht mal einer Kritik unterzogen werden darf und selbst die berühmten Derwischtänze der Verbindung mit Gott dienen, dann kann es auch keine Theaterkunst geben, die den Islam distanziert reflektiert. Man denke nur an den Aufruhr und an die Morde wegen der Mohammed-Karikaturen oder an die Morddrohungen gegen Salman Rushdie wegen seiner „Satanischen Verse“!
Das Jiddische Theater, das im 19. Jahrhundert in Ostmitteleuropa entstand, ist wiederum kein religiöses Theater und seine Sujets speisen sich aus dem jüdischen Humor, einer Art Hochleistungssport in den Disziplinen Reflexion und Distanz. https://de.wikipedia.org/wiki/Jiddisches_Theater
Mit Emine Sevgi Özdamar ist eine brillante Theaterfrau und Erzählerin nach Deutschland eingewandert. Dass sie ihre Inspiration aus dem Islam bezogen hätte, wäre mir neu. https://www.sylke-kirschnick.de/2022/08/10/buechner-preis-fuer-emine-sevgi-oezdamar-endlich/ Es gibt Schauspielerinnen und Schauspieler, Regisseurinnen und Regisseure aus islamischen Ländern in Deutschland und überall auf der Welt und dies seit Jahrzehnten – wer erinnert sich nicht an Omar Sharif, einem orientalischen Christen, der zum Islam übertrat https://de.wikipedia.org/wiki/Omar_Sharif, bevor er die Titelrolle in „Doktor Schiwago“ (1965, Regie: David Lean) neben Julie Christie als Larissa und Geraldine Chaplin als Tonja spielte. Allein mit Religion hatte und hat die darstellende Kunst, nachdem sie einmal aus paganen Kulten entstanden war, nichts zu tun.
Worum also geht es bei der Frage nach dem Islam und dem Theater? Um religiöse Identitätspolitik und gegen das Fantasma einer angeblich christlichen Vormachtstellung auf den Bühnen dieses Landes. Das ist so absurd wie die Fragestellung selbst und wird nur noch dadurch übertroffen, dass die Autorin des Beitrags in „Tag für Tag“, dem Religionsmagazin des Deutschlandfunks, diese Absurdität in ihrem missionarischen Eifer offenkundig noch nicht mal bemerkt hat. Die Redaktion des Magazins allerdings auch nicht.