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Bundesinnenministerin Faeser und der politische Islam

Anfang September 2022 hat Innenministerin Nancy Faeser den Expertenkreis Politischer Islamismus aufgelöst https://www.welt.de/politik/deutschland/plus240877265/Expertenkreis-politischer-Islamismus-Vorlaeufiger-Hoehepunkt-der-Politik-des-Wegsehens.html; https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/nancy-faeser-loest-den-expertenkreis-litischer- -auf-18304862.html. Allerdings ist diese Entscheidung mehr als bloß ein fatales Signal. Es ist eine erneute falsche Weichenstellung. Sie setzt fort, was mit der Stärkung der Islamverbände durch die Etablierung der Islamkonferenz 2006 begonnen hatte. All das gipfelte im ohnehin seltsamen Medienhype um Fundamentalistinnen wie Kübra Gümüsay, Lamya Kaddor, Aydan Özoguz oder Sawsan Chebli im letzten Jahrzehnt. In Gestalt von Identitätspolitik erfährt dieser verhängnisvolle Trend eine komische, ja geradezu groteske Adelung durch den Staat, man denke nur an Ferda Ataman als neue Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, ihre Neuen deutschen Medienmacher oder überhaupt die neuen deutschen Organisationen. Verbunden war und ist das meist mit kräftigen staatlichen Finanzspritzen. Warum?
Weil man irrigerweise annimmt, man bekämpfe dadurch die „Rechten“, wer immer das außer der AfD und rechtsextremen Netzwerken sein soll, die man dadurch aber gerade stärkt und nicht schwächt. Auf der Parteienebene ist es Aufgabe des Parlaments, die AfD ins Aus zu katapultieren, indem man bessere Politik macht. Darin war ich mir sofort mit einem türkischstämmigen Taxifahrer einig, als wir vor einigen Jahren auf einer längeren Fahrt durch das baustellenreiche Berlin darüber diskutierten. Erdogan, so meinte er, sei 2000 auch deshalb an die Macht gekommen, weil die damaligen Politiker ihre Hausaufgaben nicht erledigt hatten. Mit der AfD, fuhr er fort, verhalte es sich ähnlich, denn sie hätte nicht den Hauch einer Chance gehabt, wenn die anderen Parteien ihren Job gemacht und keinerlei Platz für solche Leute gelassen hätten. Rechtsextreme Netzwerke aufzuspüren und trockenzulegen, ist Aufgabe von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz. Dort säßen selber Rechtsextremisten? Ja, es gab und gibt dort auch Rechtsextremisten, ABER: Woher wissen wir das? Genau: Von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz! Manchmal benötigen auch sie Fachexpertise und mir fallen auf der Stelle Namen ein, die diese Expertise liefern können. Die Antifa gehört nicht dazu.
Und Nancy Faeser? Fiel schon mit ihrer ersten Ankündigung im Amt auf, sich künftig auf Islamfeindlichkeit konzentrieren zu wollen. Einige Mitglieder des entsprechenden Expertenkreises, den ihr Vorgänger Horst Seehofer eingerichtet hatte, lassen daran zweifeln, dass es bei der Feststellung von Islamfeindlichkeit wissenschaftlich und seriös zugeht. Kürzlich ließ der Kreis verlauten, dass er sich auf den Begriff des „antimuslimischen Rassismus“ geeinigt hätte, einen ideologischen Kampfbegriff, der den der Islamophobie ablösen soll, aber wissenschaftlich genauso fragwürdig ist, wie dieser es schon immer war.
Yasemin Shooman, ein Mitglied im Expertengremium zur Islamfeindlichkeit, hatte den Begriff „antimuslimischer Rassismus“ in ihrer Doktorarbeit über rechtsextreme Blogs geprägt. Gemeinsam mit ihrem Doktorvater Wolfgang Benz, dem ehemaligen Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, und seiner seinerzeit engsten Mitarbeiterin, Juliane Wetzel, startete und bewarb sie den Vergleich von Antisemitismus und „Islamophobie“. Die Wendung vom „antimuslimischen Rassismus“ leitet sich von Edward Saids Behauptung ab, Araber seien, weil sie angeblich in amerikanischen Magazinen im Zuge der Ölkrise 1973 mit Hakennasen dargestellt worden wären, im Westen an die Stelle der Juden getreten. Ferner behauptete Said, der Antisemitismusforscher Léon Poliakov habe, als er über die Verklammerung eines diffusen Rasse-Konzepts mit dem althergebrachten Judenhass im Antisemitismus schrieb, die Muslime zu erwähnen vergessen, die davon genauso betroffen gewesen wären, wie die Juden. Eine glatte Lüge. Eine monströse Geschichtsklitterung.
Weder Araber noch Muslime waren jemals Ziel eines deutschen und europäischen Vernichtungsprogramms, dessen ideologische Grundlage nichts als eine über zwei Jahrtausende gepflegte Fiktion bildete. Weder die mittelalterlichen Kreuzzüge noch die spanische Reconquista, die faktische Konflikte um Territorien, Zugänge, religiöse und weltliche Vormachtstellungen abbildeten, zielten darauf ab, Araber als Araber oder Muslime als Muslime aus der Welt zu schaffen. Das ergibt sich schon aus dem Umstand, dass nicht alle Araber Muslime und nicht alle Muslime Araber sind. Da nun, wie gesagt, weder Araber noch Muslime jemals einem deutschen oder europäischen Vernichtungsprogramm zum Opfer gefallen waren, sehr wohl aber als Täter in Pogrome und den Holocaust verwickelt gewesen sind und es von Nordafrika über Asien bis nach Persien unter Arabern und Muslimen zahllose Judenhasser und Bewunderer Adolf Hitlers gegeben hat, verkehren Edward Saids wahrheitswidrige Behauptungen sowie allein schon der Vergleich von Juden- und Islam- bzw. Muslimfeindschaft Fakten und Fiktionen jeweils in ihr Gegenteil. Der Vergleich verfolgte übrigens nie einen anderen Zweck. Erkenntnisgewinn lässt sich aus ihm nicht ziehen – was Wolfgang Benz vorher hat wissen können -, denn es gibt zwischen beiden Phänomenen keine Gemeinsamkeiten, die nötig wären, damit ein Vergleich gleich welcher ArtSinn ergibt.
Eine weitere Quelle für die Kampfformel „antimuslimischer Rassismus“ ist natürlich die Rede von PLO-Chef Jassir Arafat 1974 vor der UNO mit den entscheidenden Propagandabehauptungen, wonach Zionismus antiarabischer Rassismus sei und der Staat Israel ein „zionistisches Gebilde“, damit durch und durch rassistisch. Wir haben zum einen Araber, zu denen auch Christen wie Edward Said gehören, und zum anderen Muslime. Beides zusammen ergibt dann den „antimuslimischen Rassismus“. Alle Araber und alle Muslime sind dadurch an Bord. Nun kooperierten sowohl die Nationalsozialisten als auch die Sowjetunion und der spätere Ostblock mit Arabern und Muslimen, zumal der arabische Sozialismus anders als der Sozialismus in Europa keine Trennung von weltlicher und religiöser Sphäre, von Staat und Religion kennt. Gamal Abdel Nasser überwarf sich in den 1950er Jahren, als sie seine Herrschaft und Autorität bedrohten, mit den Muslimbrüdern, aber nie mit Muslimen. Im Kern ging und geht es bis heute immer um den Kampf gegen die jüdische Präsenz im Nahen Osten und seit 1948 um den Staat Israel.
Was Yasemin Shooman auch immer initiiert, ob beim Zentrum für Antisemitismusforschung, ob beim Jüdischen Museum Berlin oder im Expertenkreis Islamfeindlichkeit beim Innenministerium, Dreh- und Angelpunkt bleibt immer das von Edward Said inspirierte Ziel, Juden peu a peu als gefährdete Gruppe zu ersetzen und allmählich verschwinden zu lassen, erst recht den islamischen Antisemitismus. Sei es, dass Begriffe aus der Antisemitismusforschung systematisch auf die Situation von Muslimen übertragen werden – Religionskritik sei eine „Umwegkommunikation“ angeblicher Islamhasser, gegen Muslime würden Verschwörungsfantasien vorgebracht, die Glaubwürdigkeit von Muslimen würde pauschal infrage gestellt, Islamkritiker und -kritikerinnen würden ungerechtfertigte „Anklagen“ gegen Muslime erheben und sich, handelt es sich um Atheisten oder Agnostiker aus islamisch geprägten Kulturen, als „Kronzeugen“ und „Kronzeuginnen“ gegen Muslime und den Islam hervortun -, sei es, dass unterstellt wird, Muslime wären unablässigen Angriffen, Verunglimpfungen und Herabwürdigungen seitens einer christlichen Mehrheitsgesellschaft und fortwährenden Ungleichbehandlungen als Muslime ausgesetzt – naturgemäß widmete der Kanon der christlichen Traditionsliteratur einschließlich der Kirchenväter Muslimen keine einzige Zeile, war der Hautfarbenrassismus in der islamischen Welt erheblich älter und dauerte der ostafrikanische Sklavenhandel entschieden länger als der transatlantische -, sei es die Konferenz „Living with Islamophobia“ 2018 im Jüdischen Museum unter Beteiligung von Islamisten wie Farid Hafez https://de.wikipedia.org/wiki/Farid_Hafez oder Islamistinnen und türkischen Nationalistinnen wie Kübra Gümüsay. Hafez, der sowohl der Muslimbruderschaft als auch – wie Gümüsay – der AKP des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nahesteht, attestierte den österreichischen Behörden, die ihn bei einer Durchsuchungsaktion gegen Muslimbrüder an einem 9. November ebenfalls aufsuchten, fehlende Sensibilität und mangelndes historisches Bewusstsein vor, so, als seien Muslime Opfer der antisemitischen Novemberpogrome 1938 gewesen. Antisemitismus aber zählt zum ideologischen Kernbestand der Muslimbrüder seit ihrer Gründung 1928. Das Beispiel von Farid Hafez, der übrigens die jüdische Gemeinschaft in Österreich der Islamophobie bezichtigte, weil sie islamischen Antisemitismus thematisiert hatte, illustriert erschöpfend, worauf der Vergleich von Juden- und Muslim- bzw. Islamfeindschaft von Anfang an abzielte. Blauäugigkeit kann man Yasemin Shooman nun wirklich nicht vorwerfen, eine Agenda aber schon: Araber und Muslime im Bewusstsein der westlichen Welt als die eigentlichen Opfer etablieren. Niemand stellt in Abrede, dass es Diskriminierungen etwa auf dem Wohnungsmarkt gibt, wenn man Vor- und Zunamen trägt, die in Deutschland vor sechzig Jahren noch nicht so häufig vorkamen. Aber das ist, da die Vermieter in den seltensten Fällen wissen dürften, ob es sich bei den Bewerbern um Jesiden, Armenier, Aramäer und andere christliche Minderheiten aus der islamischen Welt handelt oder um Muslime, ein Ausdruck von Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit sein. Und nicht von „antimuslimischem Rassismus“, den es im Unterschied zu Islam- bzw. Muslimfeindlichkeit überhaupt nicht gibt, auch wenn die grüne Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor Anfang dieser Woche im Innenausschuss des Bundestages behauptete, dass sie ihn beinah täglich erlebt https://de.wikipedia.org/wiki/Lamya_Kaddor, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw38-pa-inneres-islamismus-908724.
Für Wolfgang Benz spielte Edward Said und sein Buch „Orientalismus“ von 1978 übrigens keine Rolle. Benz kam aus der antiamerikanischen und antiisraelischen Tradition, die der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) 1967 begründet hatte, angeleitet durch den Politologen Wolfgang Abendroth von der Universität Marburg. Benz‘ Argumentation gegen vermeintlichen Philosemitismus als angeblichen „dialektischen“ Zwilling des Antisemitismus, stammt aus dieser Zeit. Auch wenn der SDS 1970 aufgelöst wurde, so verschwanden doch weder seine Akteure noch ihr Gedankengut, das in der SPD und später bei den Grünen weiterlebte und noch immer sehr lebendig zu sein scheint. Frank-Walter Steinmeiers Verneigung vor dem Grab Jassir Arafats 2017 war jedenfalls kein Zufall. So wenig wie zehn Jahre zuvor seine Aufnahme eines gemeinsamen Liedes mit dem deutsch-türkischen Sänger Muhabbet, der Gewalt verherrlichte und laut Esther Schapira die Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo fan Goghs durch einen Islamisten rechtfertigte, oder die Ablehnung der Armenier-Resolution des deutschen Bundestages mit der fadenscheinigen Begründung, sie relativiere den Holocaust, oder die Glückwünsche an das iranische Mullah-Regime anlässlich des vierzigsten Jahrestages der islamischen Revolution 2019.
In den letzten 15 Jahren hat auch Aydan Özoguz erheblich daran mitgewirkt, den politischen Islam in der SPD hoffähig zu machen https://de.wikipedia.org/wiki/Aydan_%C3%96zo%C4%9Fuz. Ebenfalls weichgespült und für die SPD aufnahmefähig gemacht hat den Islamismus die Politikerin Sawsan Chebli https://de.wikipedia.org/wiki/Sawsan_Chebli. Ob die von ihr mitinitiierte Aktion „Jung, muslimisch, aktiv“ (JUMA = islamisches Freitagsgebet) oder der von chebli ins Leben gerufene Arbeitskreis „Muslime in der SPD“, immer standen Religion und Politik eng umschlungen beieinander. Cheblis Äußerungen zum Kopftuch, zur Vereinbarkeit von Scharia und Grundgesetz erweckten nicht den Eindruck einer fundamentalen Distanz zum politischen Islam.
Mit Naivität, die sich durch Aufklärungsarbeit aus der Welt schaffen ließe, hat die merkwürdige Verbohrtheit unserer aktuellen Bundesinnenministerin, die Islamfeindlichkeit für ein dringend zu bearbeitendes Problem unserer Gesellschaft hält und gleichzeitig das Expertengremium zum „politischen Islamismus“ in die Wüste schickt, nicht das Geringste zu tun. Ob anlässlich einer Veranstaltung Kinder hinter Faesers Rücken die Hand zum Wolfsgruß türkischer Rechtsextremisten formen https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/auch-muslime-lehnen-ferda-ataman-ab-sie-ist-blind-fuer-nicht-weissen-rassismus-li.237503 oder ob Faeser Preise gemeinsam mit einem Rapper entgegennimmt, der durch Hassgesänge aufgefallen war https://www.welt.de/politik/deutschland/plus237882621/Innenministerin-Faeser-und-kontroverser-Rapper-erhalten-Preis-fuer-Kampf-gegen-Extremismus.html, solange es gegen autochthonen Rechtsextremismus geht, solange scheinen türkische Rechtsextremisten, türkische Nationalisten und Islamisten willkommene Partner sein zu können.
Nun ist es, wie die Islamforscherin Susanne Schröter gelegentlich bemerkte, nicht immer und für jeden leicht, die Netzwerke und Strukturen des politischen Islam in der Bundesrepublik zu überschauen und alle Akteure parat zu haben. Genau deshalb schrieb Schröter ja 2019 ihr Standardwerk zum Thema https://literaturkritik.de/schroeter-politischer-islam-kein-kotau-vor-islamisten,27236.html und all das im Bewusstsein, dass der politische Islam hierzulande längst nicht ausreichend erforscht worden ist, dass darüber hinaus Szenerien und Akteure ständig in Bewegung sind. Resümieren konnte man angesichts all dessen nur, dass es zum einen Forschungsbedarf gibt und zum anderen Handlungsbedarf auf der politischen Ebene nebst einigen Kurskorrekturen hinsichtlich der jüngsten Vergangenheit. Die denkbar schlechtesten Voraussetzungen also, ein Expertengremium zum politischen Islam abzuschaffen.
Mein Eindruck nach dem Lesen und Hören von Interviews mit der Bundesinnenministerin ist, dass sie ihren Blick auf den Mordanschlag von Hanau 2020 verengt hat. Gegen „Rechts“ zu sein reicht leider nicht, um der Phänomene und ihrer Zusammenhänge auch nur im Kopf Herr zu werden.