Als Ruhollah Chomeini im Februar 1989 die Todesfatwa gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie erlassen hatte, weil der in seinem Roman „Die satanischen Verse“ angeblich den Propheten, den Islam und den Koran beleidigt hätte, hatten Extremisten unter den muslimischen Einwanderern in Großbritannien Rushdie schon wochenlang die Hölle heißgemacht, Verlage und Buchhandlungen unter Druckgesetzt und die Medien mobilisiert. Chomeini war kein Bücherwurm, der regelmäßig die Neuerscheinungen in der westlichen Welt studiert hätte und dabei zufällig auf Rushdies Roman gestoßen wäre. Chomeini wurde auf den Autor und seinen Roman aufmerksam gemacht. Von Extremisten unter den nach Großbritannien eingewanderten Muslimen aus Pakistan und Indien. Es gibt eine BBC-Doku, die man sich im Internet auch auf Deutsch ansehen kann. Sie ist als Einführung in die damaligen Ereignisse rund um Rushdies Buch gut geeignet.
Wer die „Satanischen Verse“ gelesen hat, weiß, dass die Stellen zum Propheten und zur Offenbarung die Fieberfantasien eines der beiden Einwanderer sind, die eingangs im Roman vom Himmel aufs britische Festland fallen. Aus einem explodierenden Flugzeug. Der eine wird Engel, der andere Teufel. Surrealer geht es kaum. Der Leser weiß auch, dass der „Imam“ im Roman eine Anspielung auf Chomeini ist, so, wie „Miss Torture“ eine auf Margaret Thatcher. Vielleicht eine gute Gelegenheit, zu fragen, warum Chomeini eine Todesfatwa erlassen hat, die britische Premierministerin aber nichts dergleichen unternommen hatte, falls sie die Anspielung in rushdies Roman überhaupt je zur Kenntnis nahm. Diejenigen unter den muslimischen Extremisten, die seinerzeit gegen Rushdie und sein Buch auf britischen Straßen demonstriert, es zusammen mit einer Puppe, die den Autor darstellen sollte, in Brand gesetzt hatten, haben sich später beruhigt. Es sind aber sie gewesen, die dem Ajatollah Bescheid gegeben hatten. Wer immer noch glaubt, die Todesfatwa sei einfach das Ergebnis der narzisstischen Kränkung eines bösen alten Mannes gewesen, muss die letzten Jahrzehnte geschlafen oder in einem Paralleluniversum gelebt haben. Von den großen islamistischen Terroranschlägen will ich gar nicht erst anfangen. Die Attacke auf Kurt Westergaard, einen der Zeichner der harmlosen Mohammed-Karikaturen, die Mordanschläge auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ und den Lehrer Samuel Pathy sollten genügen, um zu wissen, dass wir uns mittendrin in einer anhaltenden Phase islamistischer Radikalisierung befinden. Aber unsere Innenministerin hält Islamfeindlichkeit für unsere derzeit größte Herausforderung. Klar haben wir auch ein Problem mit rechtsextremen Mordanschlägen. Extremisten radikalisieren einander immer gegenseitig.
Der 24-jährige Attentäter Hadi Matar, der Salman Rushdie am vergangenen Freitag niederstach, habe sich nach einem Aufenthalt im Libanon, dem Herkunftsland seiner Eltern, zu radikalisieren begonnen, heißt es inzwischen in den Medien. Den Libanon hat vor allem die 1982 gegründete schiitische Terrororganisation Hisbollah heruntergewirtschaftet, die aus dem Iran finanziert wird. Woher der schiitische Extremismus des jungen Attentäters kommt, liegt auf der Hand. Und trotzdem hat es ein paar Tage gedauert, bevor die Medien hierzulande von Islamismus sprachen. Weil es ja Hass-Rhetorik in allen Religionen geben würde. Weil man so genau nicht sagen könne, welche Motive ein Mörder haben könnte, der auf einen Schriftsteller einsticht, der vor über dreißig Jahren ein Buch veröffentlicht hatte, dem Islamisten aus Großbritannien, Pakistan und Indien sowie der vor über dreißig Jahren verschiedene Ajatollah Chomeini die Beleidigung des Islam nachsagten und seinen Autor deshalb töten wollten. Das ist mehr als sich dumm stellen. Das ist hochprozentige Realitätsverweigerung, um sich nur ja nicht dem Verdacht der Islamfeindlichkeit auszusetzen. Ich halte das für, mit Verlaub, Schwachsinnigkeit gepaart mit einer gehörigen Portion Aggression. Denn es trifft, wenn es ernst wird, nicht die, die solchen Blödsinn reden, sondern die, die auch bei uns schon seit Jahren unter Polizeischutz stehen, weil Islamisten ihnen nach dem Leben trachten. Dass Journalisten öffentlich-rechtlicher Medien, solchen von ihnen interviewten Irrlichtern nicht mit dem Beispiel der Muslime unter Personenschutz kontern, wundert mich ebenfalls nicht.