Das hörte ich kürzlich im Deutschlandfunk. Verbunden mit der Aussage, dass zwar nicht die Bibel, aber die Kirchen hierzulande rassistisch seien. Aus zwei Gründen: Weil erstens die Jesus-Darstellungen immer eine Figur mit weißer Hautfarbe zeigen. Weil zweitens alle Mitglieder oberer Kirchengremien weiß seien. Beide Beobachtungen stimmen, aber sind sie ein Ausdruck von Rassismus? Habe glücklicherweise nicht ich zu entscheiden. Gefragt, wie sie sich Jesus optisch vorstellen würde, antwortete die interviewte Frau, dass er ausgesehen haben würde, wie jemand aus dem heutigen Irak. Warum nicht wie jemand aus dem heutigen Israel? Jesus war jüdisch, wie die Interviewte richtig bemerkte. Die zeitweilige Kennzeichnungspflicht, die Juden im Orient, im europäischen Mittelalter und in der Nazizeit auferlegt wurde, wäre unnötig gewesen, wenn man Juden optisch von der nichtjüdischen Bevölkerung hätte unterscheiden können. So viel dazu.
Um den Wahnsinn des Gottesmordvorwurfs zu illustrieren, zitierte Heinrich Heine einst einen „schwarzen Fanatiker“ mit einem „Kruzifix“ bei einem Aufstand in den Überseekolonien: „Die Weißen haben Christum getötet, laßt uns alle Weißen totschlagen!“ Heine nannte das Ganze eine „blutige Parodie“, die an Stelle der beschuldigten Juden nun Weiße setzte. Nicht viele Autoren reichen an Heine heran, wenn es gilt, sarkastisch-ironisch aufschlussreiche Pointen zu setzen.
Wer ist denn nun weiß, schwarz oder person of color? Offen gestanden komme ich langsam nicht mehr mit. Die Kirchenväter kamen von Justin dem Märtyrer über Augustinus bis hin zu Johannes von Damaskus alle aus Nordafrika und dem Mittleren Osten, waren demnach keine Europäer, sondern „Orientalen“ im Sinne Edward Saids, der ja ebenfalls Christ und Palästinenser gewesen ist, damit eine person of color. Wenn aber der von den Kirchenvätern, die alle people of color gewesen sein müssen, begründete Judenhass eine nahöstlich-nordafrikanische Angelegenheit war, können die „weißen“ Europäer nur arme, von den „Orientalen“ verführte Tropfe gewesen sein, als sie sich christianisieren und mit der Judenfeindschaft vergiften ließen. Da der Rasseantisemitismus des 19. Jahrhunderts auf der christlichen Judenfeindschaft basiert, wären im Grunde die „Orientalen“ dafür verantwortlich, besonders die Ägypter, die die Ritualmordlegende einst in die Welt gesetzt hatten, lange vor den christlichen Europäern, den „Weißen. Der viel beschworene Re-Import des Antisemitismus wäre dann zwar faktisch, verliefe aber sehr viel früher in die umgekehrte Richtung, vom Nahen Osten nach Europa und von dort durch die Franzosen und Briten zurück an seinen Ursprungsort. Das ist genauso ein Unfug wie die Behauptung, beim islamischen Antisemitismus handle es sich um einen Re-Import des ursprünglich „weißen“ christlich-europäischen Judenhasses.
Waren die Römer, die Jesus gekreuzigt haben, „Weiße“? Sind alle Italiener Nachfahren der Römer? Wieso ist ein nach Deutschland eingewanderter Italiener eine person of color? Woran erkennt man das? Am Namen? Wenn aber die Kirchenväter Justin, Augustinus und Johannes von Damaskus hießen und als „Orientalen“ people of color waren , erkennt man das definitiv nicht am Namen. Eine amerikanische Bekannte kolumbianischer Herkunft trägt einen Vor- und Zunamen, wie ihn autochthone Deutsche aus Krähwinkel tragen könnten, und viele Afrodeutsche tun das gleichfalls, sind aber eher people of color oder Schwarze als ein Iraker oder Syrer oder Iraner, ein Afghane oder ein Türke, die in der Regel eine weiße Hautfarbe haben. Ganz zu schweigen von eingewanderten Tschechen, Polen, Balten oder Spaniern. Es kann also nicht der Status des Eingewanderten sein, der die Menschen zu people of color macht, ganz abgesehen davon, dass Autochthone dann weltweit „Weiße“ wären, damit auch alle Indigenen, während ein nach Indien ausgewanderter autochthoner Deutscher dort plötzlich eine person of color wäre und sämtliche indischen Regierungschefinnen und -chefs „Weiße“. Das ist offenkundiger Unfug.
Was ist es aber dann? Der soziale Status? Bemisst er sich am Einkommen oder geht es schlicht um das gesellschaftliche Ansehen? Dann wären schneeweiße Müllfahrer people of color, aber die Ärzte und Professoren, die entweder selbst oder deren Eltern bzw. Großeltern eingewandert sind, schlicht „Weiße“. Bonaventure Ndikung wäre als Leiter des Hauses der Kulturen der Welt nach dieser Logik ab Januar 2023 ein „Weißer“.
Entscheidet die Machtfrage darüber, wer schwarz, weiß oder person of color ist? Ja, das ist dann wieder so eine Sache, denn dann wäre Barack Obama während seiner Amtszeit „weiß“ gewesen, davor und danach aber „schwarz“. Sämtliche Regierungschefs auf dem afrikanischen Kontinent und überhaupt im „globalen Süden“ wären dann „Weiße“. Und wie ist das mit Leuten, die zwar keine Herrschaft innehaben, aber die Macht zu töten besitzen? War Bin Laden weiß, schwarz oder eine person of color?
Wenn aber die optisch feststellbare Hautfarbenpalette allein schon rassistisch ist, wieso fällt es einem dann auf, dass Jesus in den hiesigen Kirchen historisch unzutreffend „eingeweißt“ wurde? Ich weiß nicht, welche Hautfarbe Jesus hatte. Aber ich weiß noch von früher, dass sich Salman Rushdie, der indischer Herkunft ist, und selbst Edward Said, der arabischer Palästinenser war, optisch nicht von einem Mitteleuropäer unterscheiden lassen. Gabriele Tergit spottete anlässlich eines Gerichtsverfahrens gegen Adolf Hitler 1932 in der „Weltbühne“, dass der künftige Diktator und seine zwei Begleiter „von einer Schwärze“ waren, „die kein Rassebuch aufhellen kann“. Dem Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, dichtete Hitler später wegen dessen „weißer“ Haut, blauen Augen und roten Haaren arische Vorfahren an. Wie Said war der Mufti Araber aus der osmanischen Provinz Palästina. Person of color?
Ich glaube, das genügt, um zu zeigen, dass das mit dem Rassismus heutzutage keine so einfache Sache mehr ist. Eben deshalb plädiere ich dafür, sich stattdessen um genau den Rassismus überall dort zu kümmern, wo er leider immer noch auftritt.