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Eurozentrismus? Unsinn!

Briten und Nordamerikaner nennen Deutschland „Germany“, Franzosen „Allemagne“, in slawischen Sprachen heißt das Deutsche „nemec/z*“ usw. Ist das anglo-, romano- oder slawozentrisch? Müsste das korrigiert werden? Verletzt es nicht das Selbstbewusstsein und das Selbstbestimmungsrecht heutiger Deutscher, die sich weder mit Germanen noch mit Alemannen identifizieren?
Auf solche Idiotien könnte kommen, wer gestern einen Kommentar zur documenta 15 in „Kultur heute“ gehört hat und vernehmen durfte, dass der Landesname „Indonesien“ auf den deutschen Arzt und Ethnologen Adolf Bastian https://de.wikipedia.org/wiki/Adolf_Bastian zurückgeht, der das Berliner Völkerkundemuseum mitbegründet hatte. Unter „Landesnahme“ ist das im wikipedia-Eintrag zu „Indonesien“ nachzulesen https://de.wikipedia.org/wiki/Indonesien. Auf diesem unterirdischen Niveau bewegen sich so manche Kommentatoren und Moderatoren, wenn auch und glücklicherweise nicht alle (!), in öffentlich-rechtlichen Medien. Nichts gegen „wikipedia“, im Gegenteil, aber für eine elaborierte Einschätzung in Sachen documenta 15, Antisemitismus und Kolonialismus reicht das eben nicht aus.
Anstatt über den Antisemitismus auf der Kassler Propagandaschau und über die dafür Verantwortlichen = die deutschen Organisatoren : angefangen bei Sabine Schormann über Politiker von SPD und Grünen, vor allem die Kulturstaatsministerin Claudia Roth bis hin zu postkolonial enthusiasmierten ‚Wissenschaftlern‘ zu diskutieren, sollten wir uns als Deutsche darüber Gedanken machen, wie wir in den niederländischen Kolonialismus in Indonesien verstrickt gewesen sind, weil der Landesname u. a. von Adolf Bastian kommt? Hier läuft augenscheinlich etwas gewaltig schief!

Von der Indomanie der Schlegel-Brüder mit ihren Sanskrit-Studien über Arthur Schopenhauer bis hin zu den Exotisten der Reformbewegung um 1900, den Kosmikern um Alfrred Schuler – bevorzugte die Swastika = das Hakenkreuz als Symbol – und Ludwig Klages, Hanns Heinz Ewers u. a. gibt es eine sehr lange Tradition der Anbetung des Asiatischen und Indischen im deutschen Kulturleben. Bei Schuler und Klages war sie mit offenem (Rasse)Antisemitismus verbunden. Schon Schopenhauer hatte seine liebe Mühe mit dem prinzipium individuationis. Umgetrieben hatte das bereits Schriftsteller wie Friedrich Hölderlin eine Generation vor ihm. Mit Alleinheitsfantasien und der quälenden Vorstellung, dass mal die Welt und mal das Ich jeweils „Alles“ seien, schlugen bereits sie sich herum. Unschwer erkennt man den Kleinheits- und den Größenwahn, den Minderwertigkeitskomplex und sein kompensatorisches Gegenteil in einer Gedankenfigur verschwistert.

In den Kollektivideologien des 20. Jahrhunderts, dem völligen Ich-Verlust bei den Parteigängern der Nazis, Kommunisten und Islamisten zugunsten einer wie auch immer definierten völkischen, sozialistischen, politischen, wirtschaftlichen, religiösen, kulturellen etc. Gemeinschaft wurde das freie, gleiche und selbstverantwortliche Ich gleich ganz abgeschafft. Das ‚Individuum‘, das hier noch bleibt und für das Freiheit eingeklagt wird, ist immer (!) ein kollektives, das sich gegen andere kollektive ‚Individuen‘ durchsetzen zu müssen glaubt, seien es die Europäer, seien es die (Nord)Amerikaner, seien es die Weißen, seien es die Kapitalisten. Seien es die Imperialisten, seien es die Ungläubigen etc.pp.
Der ideologische Vorwurf des Eurozentrismus betrifft die Werte und Normen, nach denen  wir seit 1945 zuerst im halben, seit 1989 im ganzen Europa gelebt haben und noch immer leben. Warum auch sollten die Werte und Normen des „globalen Südens“ für z. B. die Europäische Union maßgeblich sein? Sie beruhen auf klaren Kriterien von Demokratie, Rechtsstaat, sozialer Marktwirtschaft und dem Individuum als Träger von Rechten, Pflichten und Verantwortung. In der „Kunst der Kooperation“ üben sich die Parlamente hierzulande und europaweit tagtäglich.

Wenn die documenta 15-Chefin Sabine Schormann bei ihrer Eröffnungsrede gegen Individualismus, gegen Profitgier und gegen Machtstreben die „Kunst der Kooperation“ pries, scheint ihr nicht bewusst gewesen zu sein, dass sie den nur noch schwer zu ertragenden Klüngel aufs Podest hob und ausstellte, der diese millionenschwere BDS-documenta 15 organisiert, damit gestaltet und zu verantworten hat. So viel zur Profitgier – es gibt übrigens auch noch andere Kapitalformen als die pekuniären – und zum Machtstreben. Zum angeblichen Schaulaufen gegen das „westliche“ Geniedenken ist anzumerken, dass es, so lange es existiert – in Deutschland etwa seit Kant und dem Sturm und Drang -, von „westlichen“ Künstlern von Goethe bis Musil in Frage gestellt worden ist. Um das zu wissen, bedurfte es keiner „Künstler“kollektive aus dem „globalen Süden“. Und bedarf es erst recht keiner Gemeinschaftsideologien, mit denen wir namentlich in Deutschland im 20. Jahrhundert nicht die besten Erfahrungen gemacht haben.