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Die documenta-Macher und die Kunstkritik im Deutschlandfunk

Am Dienstag (21.6.) brachte der Deutschlandfunk in seiner täglichen Sendung „Kultur heute“ einen erfrischend klaren Kommentar der Kunstkritikerin Maria Ossowski zur antisemitischenBildsprache in der Agitprop-„Kunst“ auf der diesjährigen documenta. Ossowski verband ihre Kritik mit der wohlbegründeten Forderung nach personellen Konsequenzen. Die documenta-Geschäftsführerin Sabine Schormann sollte sich verabschieden. Inzwischen erstrecken sich entsprechende Forderungen auch auf Kulturstaatsministerin Claudia Roth https://www.juedische-allgemeine.de/politik/documenta-der-schande/ und dies ebenfalls aus guten Gründen. Treffend argumentiert Philipp Peyman Engel, dass es Roth entweder an Durchsetzungskraft fehlt oder aber am für einen solchen Job nötigen Einschätzungsvermögen dafür, dass Judenhass die liberale Demokratie in ihrem Kern gefährdet. Egal, um welches der beiden Defizite es sich nun handelt – ich schätze, um letzteres und das trifft, by the way, auch auf die designierte Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman zu -, in einer solchen Position muss man beides besitzen oder seinen Hut nehmen. Ein Beleg dafür, dass auch Claudia Roth nicht verstanden hat, dass sich Antisemitismus fundamental von allgemeinem Rassismus und allen anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit unterscheidet – Antisemitismus ist eine pathische Projektion, alle anderen Diskriminierungsformen aber sind klassische Vorurteile -, ist nicht nur ihr Verhalten seit Bekanntwerden der ersten Antisemitismusvorwürfe im Januar, sondern auch ihr neuerliches Gerede, dass Kunstfreiheit ende, wo Menschenfeindlichkeit beginne. Ganz abgesehen davon, dass eine Kulturstaatsministerin, die BDS nicht unmissverständlich als antisemitisch verurteilt und ablehnt, in meinen Augen untragbar ist. Claudia Roth hatte den Anti-BDS-Beschluss des Bundestages von 2019 nicht mitgetragen.

Seit zwei Jahrtausenden werden Juden als Menschenverderber bezichtigt. Von Christen, von Muslimen, von säkularen Judenfeinden, von Rasseantisemiten, von Nationalsozialisten, von Marxisten und Kommunisten, die Juden für das Inbild eines zerstörerischen Kapitalismus halten, von vermeintlichen Menschenrechtsaktivisten, die Juden für militante Invasoren und Kolonialisten halten, die eine angeblich indigene arabische Bevölkerung aus der Provinz Palästina vertrieben und verdrängt hätten. Apropos „indigen“: Wenn man in diesem Zusammenhang schon in solchen Kategorien denkt, wären jüdische Israelis, egal ob aus arabischen Ländern oder aus Europa vertrieben und eingewandert, ja jetzt erst recht am richtigen Ort. Den weitaus größten Teil der historischen Provinz Palästina nimmt heute der Staat Jordanien ein. Es gibt also sehr wohl den arabischen Staat, den die Briten den mit ihnen gemeinsam gegen die imperialen und kolonialen Osmanen kämpfenden Arabern versprochen hatten. Dass Lokalfürsten und Clanchefs wie der Mufti von Jerusalem resp. seine Nachfolger von PLO und Hamas für einen zweiten arabischen Staat kämpften, dessen Gründung sie jedoch zugleich immer ablehnten, liest man in Medien hierzulande nicht. Leider. Denn das und nicht der Staat Israel ist der Grund für die andauernde Staatenlosigkeit der arabischen Palästinenser. Abgelehnt aber wurde ebenjene zweite arabische Staatsgründung, weil das bedeutet hätte, nebenan aus Europa und anderen arabischen Ländern eingewanderte Juden zu akzeptieren, sei es in Gestalt einer nichtstaatlichen jüdischen Gemeinschaft, mit der man hätte kooperieren müssen, sei es in Form des Staates Israel, mit dessen Vertretern man ebenfalls hätte verhandeln müssen. Und nach wie vor muss!

Gesetzt den Fall und rein theoretisch, alle jüdischen Israelis würden plötzlich beschließen – ich vermute, dass nicht wenige arabische Israelis, ob nun Christen oder Muslime, sich ihnen anschließen würden -, geschlossen und als Staat irgendwohin auszuwandern, vielleicht nach Sibirien, was weiß ich, würde sich an der Lage und Perspektivlosigkeit der meisten Araber im Gaza-Streifen oder im Westjordanland nichts ändern, weil weder der jüdische Staat noch überhaupt Juden für die arabisch-palästinensische Misere verantwortlich sind. Über kurz oder lang hätten wir erstens einen weiteren failed state bzw. eine weitere dysfunktionale Ordnung in der Region (siehe Libanon, siehe Syrien, siehe Irak). Ohne eigene territoriale Staatlichkeit aber wären Juden weltweit nicht mehr vor Verfolgung und Vernichtung sicher; schon aus diesem Grund muss es zweitens einen jüdischen Staat auf der Welt geben. Welcher Ort wäre geeigneter, als jener, mit dem Juden kulturgeschichtlich schon immer so eng verbunden sind?!

Apropos Kolonialismus. Seltsam, dass arabische Palästinenser und die BDS-Aktivisten weltweit, einschließlich des indonesischen „Künstler“kollektivs „ruangrupa“ das koloniale und imperiale Gebaren der Osmanen oder der Sowjetunion – heute Putin-Russlands – nicht im Geringsten anstößig finden. Auch der Staatssozialismus bzw. Staatskapitalismus des 20. Jahrhunderts bereitet ihnen keine Probleme. Nur eben niederländische Kolonisatoren, die dort seit Mitte des 20. Jahrhunderts verschwunden sind, und eben Juden und Israelis, die dort entweder noch nie nennenswert oder aber überhaupt nie präsent gewesen sind, bereiten ihnen so große Bauchschmerzen, weil die Niederländer aus Europa den Kapitalismus eingeschleppt haben, den Juden in den Augen von „ruangrupa“ angeblich repräsentieren.

Gestern konnte der Kunstkritiker Carsten Probst, vom Moderator gefragt, die Bildsprache der visuellen Hasstirade „Peoples Justice“ erneut nicht einordnen. Es ist die antikapitalistische Bildsprache des nationalsozialistischen „Stürmer“ und der ebenso antisemitischen wie antiisraelischen Sowjetpropaganda, beides vom christlichen UND islamischen Antijudaismus grundiert, Herr Probst. Es spielt keine Rolle, dass die Nationalsozialisten und Kommunisten Atheisten waren und auch keine Rolle, dass nur die Hälfte des verantwortlichen „Künstler“kollektivs Muslime sind. Es spielt keine Rolle, dass es in den 1960er Jahren unter Diktator Suharto in Indonesien grausame Massaker an Kommunisten gegeben hat und dass es in den 1990er Jahren in Indonesien eine Wirtschaftskrise gab etc.pp Das visuelle Vokabular des Antisemitismus funktioniert kontextunabhängig, weil es empirisch nicht fundiert ist, sprich: es keinerlei Verbindung zu irgendeiner Realität gibt, seine Folgen für Juden und Israelis aber in der Wirklichkeit immer mörderisch war und ist. Darum können solche Hasstiraden auch nicht ironisch gebrochen oder sonstwie relativiert werden. Der Einfallsreichtum, den Leute entwickeln, um Judenhass zu „erklären“, besser: zu rechtfertigen, ist erschreckend! Fragt sich, warum sie das überhaupt wollen?!

Es gab dann in der Sendung noch einen Beitrag über die geforderte Schließung einer Holocaust-Gedenkstätte in Indonesien, wobei ich auch nicht so recht weiß, was ein solches Museum dort soll. Dass die Leute in Indonesien propalästinensisch sind, hat in diesem Fall mit dem Islam und der Bandung-Konferenz von 1955, mit dem Sozialismus bzw. Kommunismus und der leider noch immer weit verbreiteten Vorstellung zu tun, dass der Staat Israel ein imperialistisches Kolonialprojekt sei. Übrigens war der Mufti von Jerusalem in Bandung mit von der Partie, wenn auch nur als Beobachter. Star der Konferenz war Gamal Abdel Nasser. Klar ist in der gestrigen Sendung allerdings auch geworden, dass die indonesischen „Künstler“kollektive und wohl auch ein Teil der indonesischen Gesellschaft Juden und Israelis für die Probleme in ihrer Gesellschaft verantwortlich machen. Das ist der Grund, weshalb sie sich mit ihrem islamisch grundierten, antikapitalistisch und antiimperialistisch inspirierten Judenhass auseinandersetzen sollten. In funktionierenden liberalen Demokratien geht es den Menschen weltweit am besten, aber die ist ohne Marktwirtschaft – vulgo: Kapitalismus – und mit Judenhass nicht zu haben. Das scheinen weder die Organisatoren der documenta 15 begriffen zu haben noch der „globale Süden“, weder alle (!) Kunstkritiker beim Deutschlandfunk noch die sozialdemokratischen und grünen Politiker in Hessen, die in die Entscheidungen zur Agitprop-Schau eingebunden waren. Und darauf, dass Kulturstaatsministerin Claudia Roth das kapiert hat, würde ich mich keinesfalls verlassen.

Kurzum: Mir vermittelt diese exotistische, von überholten regressiven Gemeinschaftsideologien geleitete antikapitalistische documenta 15-Veranstaltung  den Eindruck einer überteuerten Propagandaschau, von überbezahlten Kulturfunktionären organisiert und von Kunstverächtern ins Werk gesetzt.