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Kann ein islamisches Kopftuch im Westen feministisch sein? Nein!

Vorausgeschickt werden muss: Wenn eine VOLLJÄHRIGE Muslimin in der Bundesrepublik ein islamisches Kopftuch trägt, kann es dafür die verschiedensten Gründe geben und es verbietet sich, sie deshalb anzugreifen. Sie kann Touristin oder auf Familienbesuch sein. Als Einheimische kann sie es aus Gewohnheit tun, mit konservativ-islamischen Geschlechtervorstellungen oder dem politischen Islam übereinstimmen oder aber weil sie empirisch arbeitende Politologin, Religionswissenschaftlerin, Ethnologin etc. ist, die unter Menschen, deren Religionspraxis sie untersucht, Vertrauen schaffen will. Eine kürzlich aus Afghanistan geflüchtete Frau sagte in einem Deutschlandfunk-Interview, dass sie es trägt, um in der Gruppe der ebenfalls aus Afghanistan geflüchteten Menschen nicht als unanständig und anrüchig stigmatisiert, sondern anerkannt zu werden. Wenn jedoch eine hier geborene und aufgewachsene Frau, deren Großeltern oder Eltern eingewandert sind, das islamische Kopftuch trägt, kann man ausschließen, dass sie es tut, weil sie Feministin wäre. Im Westen schließt das eine das andere aus. Daran ändert auch der sogenannte intersektionale Feminismus nichts, der in erster Linie ein akademisches Phänomen und in zweiter Linie Identitätspolitik ist. Die meisten hier lebenden Musliminnen tragen kein Kopftuch.

Der Verein „Frauen für Freiheit“ hat letzten Donnerstag den jährlich für den 1. Februar ausgerufenen „World Hijab Day“ zum Anlass genommen, mit Susanne Schröter, Naila Chikhi, Lale Akgün und Mina Ahadi über das islamische Kopftuch zu debattieren. Rebecca Schönenbach hat die Online-Veranstaltung „Nein zum # World Hijab Day“ moderiert (Youtube).

Susanne Schröter, die als Leiterin der Frankfurter Forschungsstelle „Globaler Islam“ einen ausgezeichneten Überblick über die Frage islamischer Verschleierung weltweit besitzt, erläuterte die Bedingungen ihrer Freiwilligkeit. Die Frage nach der freien Entscheidung von Frauen, sich zu verschleiern oder es zu lassen, stellt sich überhaupt nur in säkularen Staaten und dort wiederum nur jenseits jener sozialen und religiösen Milieus, die über Konformitätsdruck ein bestimmtes Verhalten ihrer weiblichen Mitglieder – in diesem Fall die Unterordnung unter den Mann – einzufordern versuchen, indem sie festlegen, wann eine Frau als anständig und ehrenhaft gelte und wann sie das Gegenteil repräsentiere und deshalb sozial isoliert werden müsse. Zwei Faktoren sind deshalb entscheidend: islamisches Recht darf in der staatlichen Rechtsordnung nicht verankert sein und Säkularität muss als Wert angesehen werden, damit Frauen ihre Entscheidungen sowohl selbständig als auch freiwillig treffen können.

Um dem unsinnigen Vorwurf zu begegnen, im Westen lebende Frauen aus islamisch geprägten Ländern seien von Westlerinnen manipuliert worden, verwies Naila Chikhi auf die Ablehnung jeglicher Verschleierung durch Feministinnen innerhalb der islamischen Welt. Für Chikhi sind die jungen, akademisch ausgebildeten Kopftuchträgerinnen, die gelernt hätten, ihre Verschleierung opportun zu begründen, „Soldatinnen des Islamismus“. Die jüngste Kopftuch-Kampagne des Jugendkanals der ARD hält sie für fatal. Als Bildungsreferentin ist Chikhi bundesweit unterwegs und kennt viele Fälle der Einschüchterung von Mädchen und jungen Frauen, die von einer Minderheit muslimischer Schüler unter Druck gesetzt werden, ein Kopftuch zu tragen. Manche täten dies dann auch, um beispielsweise in ihrem sozialen Umfeld Anerkennung zu finden. Doch würden viele dadurch ihre Lebendigkeit verlieren. Als Mensch würden sie ja dann weder wahrgenommen noch respektiert, wie die Beispiele zeigen, in denen diese Mädchen mit Diamanten verglichen würden, die man dem Zugriff entziehen müsse, indem man sie verhüllt, wie Chikhi von einigen Mädchen zu hören bekam. –  Frauen als Preziosen zu verdinglichen, um sie zu er- und überhöhen und damit stillzustellen, war ein beliebter rhetorischer Kunstgriff in der abendländischen Belletristik noch bis vor etwa 100 Jahren. – Jungen wiederum sagten ihr, dass niemand ein ausgewickeltes und angelecktes Eis, das man in eine Kühltruhe im Supermarkt zurücklegt, noch kaufen würde. Frauen nicht nur als zwar wertvolles, aber für Männer verfügbares Ding auf der einen und als Ware auf der anderen Seite, sind in den Köpfen mancher Heranwachsenden die beiden Seiten derselben Medaille, die Frauen alles mögliche zugestehen mögen, nur nicht ihre Selbständigkeit und Freiheit. In vielen Schulen landauf, landab und europaweit vor allem in Großstädten ist das ein für Chikhi unübersehbares Problem.

Lale Akgün nahm sich die sogenannte Mehrheitsgesellschaft vor, die es mit ihrer Selbstgefälligkeit im Kern ja ist, die verschleierte junge Frauen als „tuchgewordene Diversity“ und damit als Bereicherung – Stichwort „Diamanten“ – feiert und umwirbt. In Parteien, in Medien, auf Veranstaltungen, im Kunst- und Kulturbetrieb. Auf Kosten muslimischer Mädchen und Frauen, auf deren Rücken die Mehrheitsgesellschaft ihre Selbstbeweihräucherung betreibt. Das islamische Kopftuch steht für die Reinheit, Keuschheit und Frömmigkeit von Frauen. Es sind laut Akgün, einer promovierten Psychologin, vor allem zwei Verfahren: das der Umdeutung und das des Re-Framings, die den Aufstieg der jungen Kopftuchträgerinnen in den Sternenhimmel der Diversity bewerkstelligt haben. Anders ausgedrückt: Ein Kopftuch zu tragen, bedeutet nicht mehr, einer archaisch-patriarchalen Praxis zu folgen, sondern ist eine befreiende, revolutionäre, geradezu avantgardistische Großtat. – Mit Orwell gesprochen: „Krieg ist Frieden“ und „Freiheit ist Sklaverei“. – Im Diversity-Kosmos, dem neuen Rahmen bzw. Kontext, sind kopftuchtragende Frauen plötzlich das Inbild des gesellschaftlichen Fortschritts und das zu akzeptieren, verschafft Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft das schöne Selbstgefühl aufgeklärt, ein Ausbund an Toleranz und auf der Höhe der Zeit zu sein. Von jungen Kopftuchträgerinnen muss sich Akgün manchmal sagen lassen, dass ihr feministisches Denken steinzeitlich sei, weil sie es nicht intersektional angeht, das heißt, nach einem Punktesystem, in dem diejenige gewonnen hat, die – nach intersektionaler Logik – am meisten diskriminiert wird. (In den 1990er Jahren war das in den Staaten die humorvoll beschworene schwarze, behinderte, jüdische Lesbe aus der Arbeiterklasse, heute wird es vermutlich die eine Generation zuvor eingewanderte tiefgläubige Muslimin sein. Mich erinnert die Überhöhung der kopftuchtragenden jungen Frauen, die sich als Frauenrechtlerinnen ausgeben, an die erhabene Stellung der christlichen Muttergottes im böhmischen Bauernbarock.)

Mina Ahadi räumte gründlich mit dem neuerdings verbreiteten Gerücht auf, die Iranerinnen und Iraner hätten 1979 gegen die Verweltlichung des Schah-Regimes aufbegehrt und deshalb Ajatollah Chomeini an die Macht gebracht. Als junge Frau in einem iranischen Dorf musste sie den Tschador tragen, wann immer sie das Haus verließ. Gott wolle das so, erfuhr sie von ihrer Mutter. Während der Ferien in Teheran und später an der Universität in Täbris habe sie ihn abgelegt. Die Frauenproteste, die sie gemeinsam mit anderen im Iran organisierte und besuchte, wurden sofort mit der Androhung von Schlägen oder sogar der Steinigung beantwortet. Ahadi versteht nicht, wieso die europäischen Gesellschaften es Rechtsextremen überlassen, Frauen- und Menschenrechte für hier lebende Muslime einzuklagen. Einen Arbeitgeber, der darauf bestünde, dass während der Arbeitszeit kein Kopftuch getragen wird, halte sie nicht für einen Rassisten, sondern für jemanden, der die Prinzipien einer säkularen Ordnung verteidigt, der einzigen, muss man hinzufügen, unter welcher multireligiöses Leben überhaupt möglich ist, weil das staatliche Neutralitätsgebot Religionszugehörigkeiten zur Privatsache erklärt. Als Vorsitzende der Ex-Muslime und als Atheistin versteht sie sich nicht als Muslimin.

Auf die im Vorfeld gestellte Frage nach Rassismus antworteten alle beteiligten Frauen einmütig, dass man das Problem von Rassismus und die Frage des islamischen Kopftuchs dringend entkoppeln muss. Susanne Schröter bezweifelt, dass die postmoderne Erweiterung des Rassismus-Begriffs Betroffenen hilft. Nicht jede Diskriminierung sei rassistisch. Kampfformeln wie „antimuslimischer Rassismus“ laufen ihrer Ansicht nach deshalb ins Leere. Das unterstrich auch Naila Chikhi, denn erstens gehöre das Kopftuch überhaupt nicht essentiell zum Islam, wird nicht von allen gläubigen Musliminnen getragen und ist nirgends vorgeschrieben. Zweitens geht der Vorwurf des Rassismus an all jenen Frauen aus islamisch geprägten Ländern vorbei, die die islamische Verschleierung bekämpfen, die gegen das Kinderkopftuch als einer Verletzung von Kinderrechten protestieren, ganz gleich, ob in Europa oder in der islamischen Welt selbst. Zwei weitere Chatfragen fasste Rebecca Schönenbach am Ende zusammen: Was können wir tun? Das Thema islamisches Kopftuch offen debattieren, islamistische Versuche der Einflussnahme an öffentlichen Schulen und in der Gesellschaft offen ansprechen, problematisieren und zurückweisen und aufhören Angst vor Rassismus- und Islamophobie-Vorwürfen zu haben. Würden sie zu entsprechenden Diskussionsrunden eingeladen, würden die Frauen dabei mithelfen.