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Warum der Vergleich von Juden- und Islamfeindschaft die Leugnung von islamischem Antisemitismus erzwingt

Der FAZ-Journalist Thomas Thiel und der Wissenschaftler Ingo Elbe sprechen vornehm von einer De-Thematisierung islamischer Judenfeindschaft an heimischen Universitäten und in hiesigen Medien. Der Sachverhalt stimmt, hat allerdings Gründe, die das Beschweigen islamischer Judenfeindschaft geradezu erzwingen. Einer dieser Gründe ist der seit Jahrzehnten bemühte Vergleich von Juden- und Islamfeindschaft.
Wissenschaftliche Weihen verlieh ihm der Historiker Wolfgang Benz, der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung. Gewiss, Benz hat auch Doktorarbeiten betreut, die sich mit Antisemitismus unter jungen Muslimen oder mit der vom NS-Kollaborateur Haj Amin al-Husseini begründeten SS-Division „Handschar“ befassten. Aber diese Arbeiten passen ins Schema eines angeblichen Re-Imports des europäischen Antisemitismus, den die französischen und englischen Kolonialherrschaften seit dem 19. Jahrhundert in der arabischen Welt erst ‚eingepflanzt‘ hätten. Nach dieser Auffassung ist der europäische Kolonialismus Verursacher nahöstlicher Judenfeindschaft. Noch deutlicher: Judenhass gibt es in arabischen Ländern angeblich erst seit es den Zionismus gibt, der wiederum als Siedlerkolonialismus gedeutet wird. Das ist, grob gesprochen, das Narrativ, das die palästinensische Nationalbewegung seit ihrer Entstehung verbreitet und mit ihr die Studie „Orientalismus“ von Edward Said, der ein palästinensischer Christ gewesen ist. Mit Wissenschaft hatte und hat das wenig zu tun, mit Palästina-Solidarität und einem Propaganda-Evergreen des politischen Islam, des Panarabismus, des Ostblocks, extrem linker und linksterroristischer Teile der Studentenbewegung dagegen sehr viel. Das ist das eine. Das andere ist der in Deutschland breit ausgetretene antiwestliche Holzweg pro-islamischer und pro-arabischer Literatur, Wissenschaft und Politik seit dem 19. Jahrhundert. Die ZfA-Tagung „Feindbild Jude – Feindbild Muslim“, die Benz im Jahr 2008 ausrichtete, stand in all diesen Traditionen.

Warum aber ist die Leugnung des islamischen Antisemitismus bei diesem Vergleichs-Unternehmen so zwingend?

Erstens stellt es den islamischen Wunsch in Abrede, Juden durch Muslime zu ersetzen. Aus islamischer Sicht stammen Muslime von Ismael, dem Sohn Abrahams mit der verstoßenen Hagar ab. Abraham wird so zum Stammvater der Muslime, weshalb auch Moses und Jesus Muslime waren. Wie das Christentum suchte der Islam von Anfang an, die jüdische Überlieferung als die eigene Vorgeschichte auszugeben. Gewiss, Juden wie auch Christen sollten und mussten unter islamischer Vorherrschaft nicht alle gleich konvertieren. Das hat aber weniger mit einer dem Islam innewohnenden Toleranz, als vielmehr mit der Kopfsteuer zu tun, die Muslime für den gewährten Schutz erhoben. Warum hätten islamische Potentaten auf diese Steuereinnahmen verzichten sollen?! Außerdem benötigten diese Potentaten unter ihren Unteruntertanen (Dhimmistatus) Ärzte, Mathematiker, Architekten, Städtebauer etc.pp. Juden und Christen hatten in diesen Disziplinen jahrhundertelange Praxiserfahrung. Das Morgenland war heidnisch, jüdisch, persisch, griechisch-römisch, christlich-orientalisch, christlich-byzantinisch, verfügte über indische und asiatische Einflüsse, bevor es ab dem 7. Jahrhundert islamisiert wurde.

Zweitens haben Muslime zwar anders als die Kirchenväter nie vom „wahren“ oder „neuen Israel“ gesprochen. Mit solchen Ersetzungsfiguren suchten Christen sich als die dem Judentum überlegene monotheistische Religion durchzusetzen und als angeblich anspruchsberechtigte Erben des Bundes mit Gott zu behaupten. Die Vielzahl der christlichen Anschuldigungen an Juden, sie seien Gottesmörder und hätten ihre Propheten ermordet, sollten diesen Anspruch legitimieren. Doch finden sich die unterstellten Prophetenmorde, direkte Aufforderungen an Muslime, Juden zu töten, oder die entmenschlichende Bezeichnung als „Affen“ und „Schweine“ in der islamischen Traditionsliteratur. Hinzu kommen Vorwürfe an Juden, die eigenen Schriften gefälscht oder falsch verstanden zu haben, demnach Lügner, Betrüger und Menschenverderber zu sein. Den christlichen Vorwurf, Jesus gekreuzigt oder dessen Kreuzigung veranlasst zu haben, erhebt der Koran nicht. Er erfindet vielmehr aufschneiderische ‚Juden‘, die von sich behaupten, diese Tat vollbracht zu haben. Aus einer mörderischen christlichen Bezichtigung wird im Koran eine ‚jüdische‘ Selbstbezichtigung, die lediglich in der Absicht zurückgewiesen wird, Juden als bösartig, aggressiv und zugleich inferior vorzuführen. Die Darstellungen des Massakers und der Vertreibung der jüdischen Stämme Banu Quraiza und Banu Nadir in der zum Kernbestand der islamischen Überlieferung zählenden Prophetenbiografie einschließlich der dort aufgestellten Behauptung, Juden hätten die Absicht verfolgt, Mohammed zu ermorden, ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Wichtig ist aber nicht, ob die islamische Traditionsliteratur auf Fakten beruht oder nicht, sondern dass sie die Muslime geprägt haben wie die antijüdischen Partien der Evangelien die Christen. Denn Judenfeindschaft ist in die islamische DNA genau so eingelassen wie in die christliche. Diese Tatsache muss leugnen, wer faktenwidrig behauptet, Judenhass sei der islamischen Welt bis zum europäischen Kolonialismus und bis zum Zionismus fremd gewesen.

Drittens fand das erste Pogrom an Juden auf europäischem Boden im Jahr 1066 in Granada statt und wurde von Muslimen verübt. Im Unterschied zu den Darstellungen in der islamischen Traditionsliteratur handelt es sich dabei um einen historischen Fakt. https://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Granada
Wenige Jahrzehnte später begingen die Kreuzfahrer antijüdische Pogrome in Mitteleuropa.

Ferner gibt es zwar sowohl in christlichen als auch in islamischen Heiligen Schriften ausformulierte Judenfeindschaft, aber naturgemäß keine Islamfeindschaft in den Evangelien und der Offenbarung. Deshalb müssen viertens die Verfechter des Vergleichs zwangsläufig auf die mittelalterlichen Kreuzzüge zurückgreifen, um die Islamfeindschaft des Christentums argumentieren zu können. Die Kreuzzüge waren in der Tat Ausdruck religiösen Wahns, der Angst vor der Hölle und der Sorge um das Seelenheil. Aus dieser historischen Konfrontation, die zugleich eine um den wahren Glauben und um Territorien gewesen ist, rührt die Feindseligkeit zwischen Christen und Muslimen. Um diese Kämpfe verstehen zu können, müssen allerdings die islamischen Expansionen und militärischen Eroberungen vom 7. bis zum 16. Jahrhundert auch im überwiegend christlichen Europa berücksichtigt werden.
Im modernen europäischen Kolonialismus, von dem zwar Nordafrika, aber nicht die Nachfolgestaaten des Osmanischen Reichs betroffen gewesen sind, eine Art Wiederholung der mittelalterlichen Kreuzzüge zu sehen, setzt eine politisch-religiöse Sichtweise voraus, die in der Moderne nur noch von Fundamentalisten und Extremisten vertreten wird. Denn sie negiert die Trennung von Politik und Religion, von Staat und Kirche, die eine notwendige, wenn auch keinesfalls hinreichende Voraussetzung für liberale Demokratien ist. Dass Islamisten und islamistische Terroristen die Kreuzzüge bemühten, um ihren politisch-militärischen Kampf gegen den Westen zu legitimieren, dürfte niemanden verwundern. Dass sie den Westen mit dem Zionismus bzw. mit dem Staat Israel assoziieren ebenfalls nicht.

Fünftens beruht die Konstruktion eines angeblichen antimuslimischen Rassismus oder einer Islamophobie auf dem verlängerten Missverständnis einer christlichen Anthropologie, die der Göttinger Philologe August Ludwig von Schlözer im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entworfen hatte: Noahs Söhne Sem, Jafet und Cham begründeten Schlözer zufolge verschiedene Sprachfamilien. Wilhelm Marrs Schrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ (1879), die Schlözers Sprachfamilie in eine Rasse umdeutete, spricht ausschließlich von Juden. Weder von Arabern noch von Muslimen ist bei Marr die Rede. Wie Edward Said zu glauben, dass „semitisch“ eine Ethnie, gar Rasse bezeichnen würde, hieße, sich in Marrs Bahnen zu bewegen. Saids in „Orientalismus“ aufgestellte Behauptung, Araber (später Muslime) seien nun anstelle von Juden Gegenstand rassistischen Übelwollens, folgt exakt jener christlich grundierten völkischen Logik, die Said selbst – und nicht die historischen Rasseantisemiten, nicht die Europäer, nicht die Amerikaner – auf die Araber anwendet. Anders als Juden bildeten Araber nie eine Ethnie und nie eine Nation. Man konnte – außer parodistisch – noch nie ein „Semit“ sein, sondern bestenfalls eine semitische Sprache wie Hebräisch (später Ivrit), Aramäisch, Arabisch etc. sprechen (was die meisten europäischen Juden bis Mitte des 20. Jahrhunderts übrigens nicht taten). Heute ist die abenteuerliche Auffassung von Arabern als Semiten in den Vereinigten Staaten weit verbreitet. Die in ihren letzten Lebensjahren durch antizionistische Statements aufgefallene, bekannte  US-Journalistin Helen Thomas https://de.wikipedia.org/wiki/Helen_Thomas stellte mit dem Hinweis, libanesischer Herkunft und damit Araberin zu sein, in Abrede, sich überhaupt antisemitisch äußern zu können, da sie ja selber Semitin sei. Doch mit der irrigen Behauptung, der Begriff „Antisemitismus“ richte sich gleichermaßen gegen Juden wie gegen Araber, bricht auch die Vorstellung einer rassistisch begründeten Islamfeindschaft in sich zusammen und mit ihr der Begriff des „antimuslimischen Rassismus“ bzw. der „Islamoophobie“. Auch die protorassistische limpieza de sangre, d.h. die „Reinheit des Blutes“, der spanischen Reconquista taugt nicht für eine Begründung rassistischer Islamfeindschaft, weil sie sich zum einen gegen das angebliche Judaisieren richtete, während mit Muslimen ein Kampf um Territorien auf der iberischen Halbinsel ausgetragen wurde, und weil sie zum anderen an das katholische Spanien gebunden blieb.

Fazit: Die Befürworter eines Vergleichs von Juden- und Islamfeindschaft müssen den Judenhass der islamischen Traditionsliteratur leugnen, um ihn dem modernen europäischen Kolonialismus anrechnen zu können, und sie müssen Araber und Muslime projektiv ethnisieren und rassifizieren, um eine angeblich rassistisch grundierte Islamfeindschaft konstruieren zu können. Nur auf diese Weise gelänge es zumindest vermeintlich, mit einst verfolgten europäischen Juden gleichzuziehen. Die Shoah müsste dabei allerdings ebenso ausgeblendet werden wie die Tatsache, dass man als Muslim mit deutscher Staatsangehörigkeit nie etwas anderes als gleichberechtigt gewesen ist und auch zu keiner Zeit staatlich verfolgt wurde.