Oft nicht um Flüchtlinge. Und selten um Integration. Rechtsextremisten und die AfD lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen grundsätzlich ab und sind deshalb in diesem Blogeintrag kein Thema. Doch diejenigen, die vorgeben, sich um das Wohl der Flüchtlinge zu sorgen und um ihre Integration bemüht zu sein, reden und handeln nicht selten völlig anders. In den letzten Tagen wurde der Fall einer von ihren Brüdern ermordeten jungen Frau bekannt, die Mutter zweier Kinder gewesen ist und seit einigen Jahren in Deutschland lebte. Sterben musste sie, weil sie in den Augen ihrer Brüder aufgrund ihrer „westlichen“, sprich: selbstbestimmten Lebensweise die Familienehre beschmutzt hatte. Ihre Ermordung war ein Fall von Ehrgewalt https://www.sylke-kirschnick.de/2021/05/09/was-ist-ehrgewalt-was-kann-dagegen-getan-werden/. Das Verbrechen als das zu bezeichnen, was es faktisch ist, stellt eine Voraussetzung seiner künftig erfolgreicheren Bekämpfung dar.
Doch die amtierende Berliner Senatorin für Integration sprach undifferenziert von Femizid https://www.tagesspiegel.de/berlin/keine-idee-wie-man-maenner-besser-integrieren-kann-berlins-integrationssenatorin-will-nicht-von-ehrenmord-reden-giffey-widerspricht/27494510.html. Das ist ungefähr so, als würde man bei den Attentaten von Rechtsextremisten und Islamisten von Massenmorden und Amokläufen sprechen, die sie schließlich irgendwie immer auch sind, und als Gegenstrategie die personelle Aufstockung von Mordkommissionen fordern, um ähnliches fortan wenn schon nicht zu verhindern, so doch präventiv zu erschweren. Seyran Ates und Ahmad Mansour haben im „Cicero“ und im „Tagesspiegel“ auf die inzwischen leider gut eingeübten Abwehrgesten sich selbst als „progressiv“ und „weltoffen“ wahrnehmender Politikerinnen und Politiker geantwortet https://www.cicero.de/innenpolitik/ehrenmord-afghanistan-berlin-bundestagswahl-islam-integration-seyran-ates, https://www.tagesspiegel.de/berlin/psychologe-ahmad-mansour-im-interview-unterdrueckung-im-namen-der-ehre/27492952.html.
Zwei Aspekte scheinen mir wichtig: Erstens die völlige Überforderung einiger Politiker und Politikerinnen, Integrationsfragen sach- und fachgerecht zu behandeln. Dabei benötigt man dafür nicht einfach „mehr“, sondern das richtige Personal, nämlich Frauen und Männer, die das Problem wahrzunehmen bereit und damit umzugehen in der Lage sind. Zweitens wäre es langsam an der Zeit, die Integrität von Politikern und Politikerinnen nicht an ihrer Gesinnung zu messen, sondern an ihrem Handeln. Schon bald nach den vielen vermeintlichen Empathie-Bekundungen anlässlich der großen Anzahl an Flüchtlingen, die die Bundesrepublik 2015/16 aufgenommen hatte, wurden Zweifel laut und Fragen danach gestellt, um welche Gefühle es sich damals tatsächlich gehandelt hatte und ob es überhaupt um die Flüchtlinge gegangen war. Ich war aufgrund dessen, was ich hörte und – damals noch – sah, entschieden skeptisch. Mir schien es vor allem um das pathetische Hochgefühl, die idealisierte Selbstwahrnehmung und ein im Kopf ziemlich verdrehtes Wiedergutmachungsbedürfnis gegangen zu sein und nicht um die Menschen, die hier ankamen, die gut, stolz, schlecht, geizig, großzügig, bescheiden, neidisch, kleinlich, warm- und kaltherzig, brutal, klug, gierig, dumm, hilfsbereit, solidarisch und unsolidarisch etc.pp waren. Würden eine Million mittellose autochthone Deutsche beispielsweise vor einer Flutkatastrophe in ein anderes Land fliehen, käme ja auch kein Mensch dort auf die Idee, in ihnen ein unverhofftes Geschenk zu sehen, das man am Bahnhof mit all den Sachen begrüßt, die man ausrangiert hat und nicht mehr braucht. Moralische Überlegenheit drückt sich in einem solchen Verhalten jedenfalls nicht aus.
Wer ein Problem lösen will, blickt ihm ins Auge, berät sich und packt es irgendwann an. Wer kein Interesse daran hat, ein Problem zu lösen, tut so, als ob es nicht existiert und hindert dann auch alle anderen daran, darüber zu reden. Diese Art der Debattenvermeidung ist seit vielen Jahren state oft he art. Und kostet Menschenleben. Wie das der jungen Frau, die aus Afghanistan geflohen war, um im Westen den gleichen frauenfeindlichen Reglements ausgesetzt zu werden, die sie glaubte hinter sich gelassen zu haben. Mit mehr Gesinnungsethikern in der hiesigen Politik bleibt der Glaube an weibliche Selbstbestimmung für Flüchtlinge tatsächlich eine Illusion.
Politiker und Politikerinnen, die verantwortungsethisch handeln, sprechen über das Problem von Ehrgewalt unter Flüchtlingen, so dass darüber öffentlich debattiert werden kann. In Kooperation mit all den exzellenten Fachleuten und Praktikern, die es hierzulande schließlich längst gibt, können dann Lösungsmodelle entwickelt werden.