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Sind „Race, Class, Gender“ hierzulande bedeutsam für die Kunst?

Ganz klar: Nein. Ästhetische Kategorien waren sie nie. Ihre ästhetische Verarbeitung kann nach wie vor spannend sein. Doch im Vordergrund stehen bei der Beurteilung eines Kunstwerks dann nicht ihre bloße Repräsentation, sondern Fragen nach dem ‚Wie‘ ihrer Evokation, also ihrem Auftreten und Vorkommen innerhalb einer ästhetischen Darstellung. Ein Kunstwerk danach zu beurteilen, ob Schwarze, Arbeiter, Schwule, Lesben, Transsexuelle, Behinderte etc. und wenn ja, wie viele vorkommen, ist banausisch. Kunst hatte nie eine Abbildfunktion. Und die Aufgabe von Künstlern bestand auch nie darin zu predigen – die Erbauungsliteratur ist heute nicht grundlos so gut wie vergessen und spielt in der tradierten Weltliteratur keinerlei Rolle -, zu erklären, zu überzeugen, zu missionieren, zu belehren, zu agitieren.

„Race, Class, Gender“ ist die heilige Dreifaltigkeit des amerikanischen Intersektionalismus und damit der Frage nach gesellschaftlicher Benachteiligung. Sie lässt sich auf das sozialstaatliche Europa nicht übertragen. „Race“ spielt als politische und gesellschaftliche Kategorie seit Ende des Zweiten Weltkriegs keine Rolle mehr. Es gibt hierzulande nach wie vor Rassismus, aber weder institutionellen noch strukturellen. Man kann ihn als Alltagsrassismus nur bekämpfen, indem man immer dort, wo er auftritt, sehr konkret dagegen vorgeht und Einspruch erhebt. Den so genannten Klassismus gibt es in der Bundesrepublik mit ihrem Sozialstaatsmodell, den Bildungsreformen seit den 1960er Jahren und den zahlreichen aktuellen Bildungsoffensiven auch nicht mehr. Man schaue sich nur die Bildungsbiografien des politischen Personals nach 1945 an. Und dass viele Kinder und Enkel türkischer Einwanderer, die nicht alle, aber größtenteils Arbeiter und nicht selten ungelernt waren, heute Akademiker sind, spricht ebenfalls für sich. Die Weimarer Republik war die letzte deutsche Klassengesellschaft. Frauenbewegungen hat es auf dem Gebiet des heutigen Deutschland seit den 1860er Jahren gegeben. Dass sich ihre Forderungen erst nach hundert Jahren flächendeckend durchsetzen konnten, ist beredt, aber kein Grund, heute so zu tun, als lebten wir noch in den 1960er oder 1970er Jahren. Heute gilt es vielmehr, die erreichten Standards als state oft he art bei Einwanderern aus nichtwestlichen Gesellschaften durchzusetzen.

Rasse, Klasse und Geschlecht sind als politische Kategorien Phänomene des 19. Jahrhunderts. Die europäischen Gesellschaften um 1900 und bis zur Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihnen zu beschreiben und zu analysieren, ist sinnvoll. In nichtwestlichen Gesellschaften spielen sie als politische und rechtliche Kategorien nach wie vor eine Große Rolle. In der westlichen Welt jedoch geht es inzwischen um Gleichstellungs- und nicht um Gleichberechtigungsfragen. Gleichstellung aber bedeutet nicht unbedingt Parität und es bedeutet erst recht nicht, dass alle möglichen Gruppen ihrem prozentualen Anteil an der Gesellschaft gemäß in allen möglichen Bereichen vertreten sein müssten, denn wir sind erstens keine Ständegesellschaft und es kommt zweitens auf die Kompetenz bei den jeweils zu bewältigenden Aufgaben an.

Gewiss, in den Ländern des ehemaligen europäischen Ostblocks sind Geschlechterfragen oft noch ein heißes Eisen, weil die Geschlechtervorstellungen dort ausgesprochen konservativ waren und bis heute sind. Es ist aber nur eine Frage der Zeit und der politischen Kräftekonstellationen, dass diese Gesellschaften aufschließen. Weder die Errungenschaften im Abtreibungsrecht noch die der LGBTIQ-Rechte werden sich dauerhaft anfechten oder zurückdrängen lassen. Klar kann das Thema in der Kunst sein. Aber dann entscheidet nicht ihre Thematisierung über die Qualität eines Kunstwerks, sondern dann entscheidet einzig die Art und Weise der künstlerischen Verarbeitung über ihren ästhetischen Rang.