Fatma Keser und Rebecca Schönenbach haben die Veranstaltungsreihe „Frauenstimmen gegen Gewalt“ fortgesetzt und über Ehrgewalt diskutiert https://www.youtube.com/watch?v=lBGZq2VZjAw.
Für viele Menschen beginnt das familiäre Gewaltproblem in muslimischen Milieus mit Ehrenmorden. Das ist falsch. Die systematische psychische und physische Gewalt gegen Mädchen und Frauen, die Opfereines Ehrenmordes geworden sind, begann lange vorher. Sie hätte durch das beherzte Eingreifen von Behörden und das weitere soziale Umfeld gestoppt werden können, wäre diese Problematik in ihrem Umfang (an)erkannt worden. Das verdeutlichen die Gesprächspartnerinnen am Beispiel der ermordeten Morsal Obeidi https://de.wikipedia.org/wiki/Morsal_Obeidi. Wie all die Frauen, die jahrelang Ehrgewalt erlitten haben, bevor sie schließlich ermordet worden sind, könnte Morsal noch am Leben sein, würden wir konsequenter hinschauen, hinhören und handeln.
Im Mittelpunkt von Ehrgewalt stehen immer Geschlechterrollen und Sexualität. Sie wird von Männern – Vätern, Brüdern, Onkeln, Cousins, Ehemännern – und Frauen – Müttern, Schwestern, Tanten und Cousinen – ausgeübt. Und Frauen und homosexuelle Männer fallen ihr zum Opfer. Ehrgewalt kreist um die Vorstellung, das Ansehen einer Familie hinge vom Verhalten ihrer weiblichen Mitglieder ab und müsse durch Kontrolle gesichert oder bei Ehrverletzung durch Bestrafung derjenigen weiblichen Mitglieder wiederhergestellt werden, denen man vorwirft, aus der Rolle gefallen zu sein und dadurch die Familienehre beschädigt zu haben. Nicht nur die engere Familie, sondern auch das weitere verwandtschaftliche und muslimisch sozialisierte Umfeld ist involviert. Das ist der wesentlichste Unterschied zu Konflikten in westlichen Paarbeziehungen, die immer nur die Partner individuell betreffen und nicht zugleich ihr gesamtes soziales Umfeld. Schlägt, gar tötet ein Partner seine Partnerin, wird er als Täter isoliert. Im muslimischen Milieu ist es umgekehrt: Hier wird nicht nur das Opfer, sofern es überlebt, – eine geschiedene Frau beispielsweise -, verachtet, verstoßen und geschnitten, sondern erfahren der oder die Täter Zuspruch, Verständnis und Anerkennung.
Das ist einer der Gründe, wie Fatma Keser verdeutlicht, weshalb Mädchen und junge Frauen sich noch nicht einmal nächsten Freunden anvertrauen: Sie haben Angst, an ihr familiäres Umfeld verraten zu werden. Der für Außenstehende oft unverständliche Wunsch mancher junger Frauen, in genau jene Familien zurückzukehren, in denen sie gequält und aus denen sie deshalb erfolgreich von den Behörden herausgeholt worden waren, erklärt sich aus ihrer vollständigen Isolation von ihrem Herkunftsmilieu und der ihnen vertrauten sozialen Umgebung. Diese Mädchen, Frauen, homosexuellen Jungen und Männer sind dann – sieht man von Behördenkontakten ab – ganz auf sich allein gestellt, von Ehrenmorden bedroht, haben ohnehin Verlustängste und zusätzlich die Furcht vor Vereinsamung. Sie hoffen immer, dass sich das Blatt zum Guten wendet, der Konflikt lösbar ist und sie in ihren Familien wieder leben können.
Es gibt in solchen Situationen aber kaum eine Alternative zum Austragen des Konflikts und zum (zumindest vorläufigen) Kontaktabbruch. All das auszuhalten und zu vollziehen, ist – das darf man dabei nicht übersehen – ein oft jahrelanger psychischer Kraftakt. In Gesellschaften, deren Basis das Kollektiv und nicht das Individuum ist, wird man nicht zu selbständigem Fühlen und autonomem Handeln erzogen. Das muss man sich erarbeiten. Dazu benötigt man Hilfe, neue stabile Kontakte und Menschen, denen man nicht allzu viel erklären muss. Das Weiterleiten neuer Anschriften an das verlassene Herkunftsmilieu durch Behörden erschwert oder verunmöglicht dabei nicht selten den Opferschutz.
Was kann getan werden? Projekte und Initiativen, die sich kompetent auf diesem Feld engagieren, müssen gestärkt und staatlich gefördert werden. Nur so können sie die nötige Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit leisten. Was kann jede und jeder einzelne Mensch in diesem Land tun? Aufhören, den ungerechtfertigten Vorwurf des Rassismus und der Islamophobie zu fürchten und klar Stellung beziehen! Was wiegt schwerer: Die narzisstische Kränkung durch den Makel eines absurden Vorwurfs oder die Unversehrtheit und das Leben von Menschen? Mir persönlich jedenfalls fällt die Entscheidung nicht schwer. Und wer sich das oben verlinkte Gespräch anhört, wird leicht verstehen, warum.