Der Kavallerist Philip Astley, der auf britischer Seite am Siebenjährigen Krieg teilgenommen hatte, gründete nach seinem Abschied aus der Armee in den 1760er Jahren in London sein Zirkusunternehmen als Amphitheater. Heute gilt Astley als Begründer des modernen Mediums in Europa, obwohl er sich zeitlebens geweigert haben soll, sein Unternehmen als Zirkus zu bezeichnen. Erst sein früherer Mitarbeiter Charles Hughes nannte sein mit Charles Dibdin 1782 eröffnetes Unternehmen „Royal Circus“; was immer Astley in der Manege darbot, ahmte ihm Hughes nach. Die Pferdedressur verlieh der Zirkusmanege ihre spezielle, kreisrunde Form. Nur wenn das Pferd sich in der Bahn in einem bestimmten Tempo bewegte, konnte sich der Kunstreiter auf seinem Rücken halten und seine Kunststücke vollbringen. Deshalb prägt die Beziehung zwischen Reiter und Pferd die Gestalt der Zirkusmanege und mit ihr den bespielbaren Raum. In England und in Frankreich durften im 18. Jahrhundert nur ausgewählte, lizensierte Sprechtheaterbühnen Dramen mit verbaler Sprache aufführen; alle anderen Bühnen unterlagen weitreichenden Einschränkungen und mussten sich bei ihren Darbietungen mit körpersprachlichen, nonverbalen Zeichensystemen, das heißt mit Bewegung, Geräuschen, Musik, Liedern, Tanz, Ballett etc. behelfen. Das galt für Volks-, Jahrmarkts- und Boulevardtheater wie Sadler’s Wells, Drury Lane, Covent Garden, Haymarket in London oder das Théâtre de la Gaîté (vormals Théâtre des Grands Danseurs du Roi) und das Théâtre des Acrobats in Paris wie für die Zirkusse, die sich auf Pantomimen kaprizieren mussten. Das kam dem zirzensischen Medium entgegen, dessen Spezifikum in der präsentierten Tier-Mensch-Beziehung bestand.
Seit Astley gab es aufgrund der Reiterei einen engen Konnex zwischen Zirkus und Militär. Das gilt zumindest für den Pferdezirkus. Wie Astley kam ein Jahrhundert nach ihm Paul Busch zunächst über den Militärdienst zur Reiterei und gründete danach als Zivilist sein Zirkusunternehmen. Auch wenn dieser persönliche Zugang zur Reiterei und zum Zirkus für die meisten Zirkusprinzipale untypisch war, so bleibt der Zusammenhang auf der inhaltlichen Ebene vieler zirzensischer Darstellungen ein unübersehbarer Fakt. Davon legen Albert Schumanns in der Manege Krieg spielende Soldatenpferde nur ein – noch dazu spätes – Zeugnis um 1900 ab. Entscheidend dabei war die zentrale Rolle von Pferd und Reiterei. Denn das unterschied Astleys zirzensische Pantomimen von den zahlreichen Pantomimen der zeitgenössischen populären Bühnen. Allein auf der thematischen Ebene, über die szenischen Einlagen, Verwandlungstricks, Dekorationen und Requisiten stellte Astley eine lose Verbindung zum damals beliebten Zaubertheater her – nicht anders als später Wolfgang Amadeus Mozart in seiner Oper „Die Zauberflöte“ von 1791. Das Pferd war wie der Mensch in den Stücken der 1770er Jahre handelnder Akteur. Astleys Pferdepantomimen waren ein Spezifikum des damals jungen zirzensischen Mediums. Anfangs handelte es sich nur um kleine possenhafte Szenen um ein scheinbar gelehrtes Soldatenpferd, das Astley trainiert hatte; die Pferde in Astleys Manege apportierten, saßen wie Hunde, kochten und servierten Tee. Schnell wurden die Darstellungen komplexer. Eine der berühmtesten von Astleys Pferdepantomimen, die unter dem Namen „Rognolet und Passe Carreau“ als Manegenklassiker noch im späten 19. Jahrhundert gespielt wurde, hieß „Die Reise des Schneiders nach Brentford oder: Der seltsame Scharfblick seines Pferdes“. Nicht die militärische, sondern die zivile Beziehung zwischen Reiter und Pferd stand hier im Mittelpunkt. Mensch und Tier vertauschten dabei ihre Position: Nicht der Schneider dominierte das Pferd, sondern umgekehrt das Pferd den Schneider. Das war Illusionstheater par excellence. Realiter behielten die Dompteure in der Manege ihre Dominanzposition. Doch zum Schein taten sie, „als ob“ das Tier eigenständig und reflektiert, überlegt und kalkuliert handelte. Denn nicht durch ein wie auch immer beschaffenes Bewusstsein unterscheiden sich Mensch und Tier voneinander, sondern durch das Bewusstsein von einem Bewusstsein. Anders als der Mensch kann sich das Tier nicht von sich selbst distanzieren und eine andere Figur darstellen. Es kann eine Rolle nicht ‚mimen‘. Das bot endlos Stoff für Possen.
Um die Nähe zum zeitgenössischen Boulevardtheater zu betonen, nannten Astley und andere frühe Zirkusunternehmer die Protagonisten ihrer Pantomimen Harlekin und die Darstellungen selbst Harlekinaden, obwohl es streng genommen gar keine waren. So zeigte Astleys Sohn John im Juni 1800 die Pantomime „Quichotte und Sancho oder Harlekin, der Krieger“, die offenkundig beides parodierte, den Roman von Miguel de Cervantes und die Harlekinaden. Die Figur des Ritters und seines Pferdes drängten sich einer pantomimischen Darstellung in der Manege förmlich auf. In der ebenfalls jahrzehntelang viel aufgeführten Pantomime „Leben, Tod und Auferstehung des feurigen Rosses, oder Harlekin auf dem Pferderücken“ aus dem Jahr 1815 war das Pferd nicht nur ein wichtiger Mitspieler, sondern formal wie thematisch der Hauptprotagonist des Stücks. Wie der Mensch muss es für „seinen Lebensunterhalt“ sorgen, seine Nützlichkeit nachweisen und Demütigungen über sich ergehen lassen, um nach seinem Ableben durch Berührung mit Harlekins Zauberstab wiederaufzuerstehen. Durch die Dressurtricks der Dompteure wurde bei den Zuschauern der Eindruck erweckt, das Pferd sei lebensfroh, müde, erschöpft oder tot. Pferdepantomimen dieser Art erzeugten die Illusion einer Analogie und einer symmetrischen Beziehung zwischen Mensch und Tier. Tatsächlich geben sie Auskunft über die Bedeutung, die das Pferd im zeitgenössischen Militärleben und im zivilen Alltag der Londoner und Pariser Besucher der Zirkusvorstellungen einnahm. Vergleichbares ließ sich in dieser Weise auf den Theaterbühnen schon aufgrund des anders gestalteten bespielbaren Raums nicht darstellen. Auf einer Theaterbühne konnte man auf und mit einem Pferd auftreten, aber die Bewegung im Raum war für Pferd und Reiter gleichermaßen eingeschränkt wie der Blick für das Publikum.
Weniger spezifisch, dafür aber charakteristisch für Astleys Pantomimen war die zirzensische Dramatisierung militärischer Schlachten, historischer und tagespolitischer Ereignisse wie einem Seemanöver oder den Sturm auf die Bastille im Jahr 1789. Aquadramen führten auch die populären Bühnen auf. Die Wasserpantomimen im Zirkus des späten 19. Jahrhunderts waren weder technisch noch thematisch eine Neuerung. Astley arbeitete in „Das von Unruhen heimgesuchte Paris oder die Stürmung der Bastille“ mit Wachsabdrückender Köpfe Getöteter, die er bei einem Aufenthalt in Paris vom Onkel der späteren Madame Tussaud erworben hatte, mit Uniformstücken, Kulissen von Stadtteil-, Häuser- und Brückenansichten, um einen möglichst authentischen Eindruck zu erzeugen; gefolgt vom Royal Circus mit „Harlekin der Mameluck oder die Briten in Ägypten“ zeigte Astley 1801 eine Chronik und ein Seemanöver mit dem Titel „Die ruhmreichen Tage der Briten in Ägypten“. Astley unterhielt neben seinem Londoner Unternehmen auch in Paris eine Dependance, die während der Koalitionskriege zeitweise der Vogeldresseur Antonio Franconi übernahm. Beerbt aber hat Philip Astley und seinen Sohn John[1] der Eleve Andrew Ducrow, der u. a. in einer Zirkuspantomime die Schlacht von Waterloo in Szene setzte und Joseph Halperson zufolge deshalb an den historischen Originalschauplatz nach Belgien gereist sein soll, um das Geschehen minutiös zu rekonstruieren. Ducrow brillierte mit „plastischen Posen“, das heißt mit so genannten lebenden Bildern, die antike und historische Plastiken, Denkmalsfiguren und Kunstwerke darstellten, sowie mit Verwandlungsszenen auf dem Pferderücken. Damit präsentierte er in der Manege die Elemente der Pantomime: Mimik, Gestik und Posen. Ducrow ‚erzählte‘ kleine Geschichten in der nonverbalen Sprache kleinster sichtbarer Körperbewegungen.
All die genannten Sujets, ergänzt um Sagen, Märchen, Abenteuergeschichten, ‚Räuberpistolen‘, exotistische, orientalistische und koloniale Szenarien standen am Beginn der Zirkuspantomime und sollten bis zu ihrem Ende auch charakteristisch für sie bleiben. Geändert haben sich der Zeitgeist, die konkreten historischen Ereignisse, die Figuren und Akteure, der Gefühls- und Gedankenhaushalt und nicht zuletzt die Tiere, die in der Manege die Zuschauer in Spannung, Erregung, Begeisterung, Angst und Schrecken versetzten.
Antonio Franconi, ein Mitarbeiter Astleys in Paris, der kurzzeitig einen Zirkus in Lyon betrieben und Astleys Dependance geführt hatte, gründete mit seinen beiden Söhnen Laurent und Henri in Paris schließlich sein eigenes Unternehmen. Wie bei Astley spielten bei den Franconis Pferde und die Reiterei eine außerordentlich große Rolle. Schließlich waren die Franconis, denen man nachsagt, die Schulreiterei (das heißt, die Kunst, die Figuren der militärisch inzwischen völlig bedeutungslosen Hohen Schule zureiten) in die Manege eingeführt zu haben, bei Astley gewissermaßen in die Zirkusschule gegangen. Gehörte die Schulreiterei im 18. und 19. Jahrhundert auch zur Ausbildung an den Universitäten, so bildete doch nicht sie, sondern die Kunstreiterei die equestrische Grunddisziplin des zirzensischen Mediums. Für die Pferdedressur selbst aber war die Hohe Schule so etwas wie das ABC für Kinder. Die bekannten Tanzfiguren – halbe oder ganze Drehung um die eigene Achse –, die Pferde in der Manege als Walzer vollführen, sind aneinandergereihte Schulfiguren. Einzelne dieser Figuren ließen sich auch auf einer Theaterbühne darstellen. Anders als Astley verbündeten sich die Franconis in den 1790er Jahren mit Cuvelier de Trie, einem der Direktoren des Pariser Boulevardtheaters Théâtre de la Cité-Varietés, traten dort mit ihren Pferden in den Pantomimen auf. Im Jahr 1807 eröffneten die Franconis in Paris den Olympia-Zirkus; Napoleons Theaterdekret vom Jahr zuvor schloss die Zirkusunternehmen zwar vom üblichen Theaterbetrieb aus, erlaubte ihnen aber die Aufführung pantomimischer Schaustücke, weshalb sie dem Kaiser in der Pantomime „Die Laterne des Diogenes“ huldigten: Vor Napoleon als der bedeutendsten Persönlichkeit aller Zeiten erlosch das Licht des antiken Philosophen. Da die in Zusammenarbeit mit Cuvelier entstehenden Schaustücke zunehmend gesprochene Worte und ganze Dialoge enthielten, mithin keine Pantomimen mehr waren, nannte man sie „Mimodramen“. Hier stand gelegentlich wieder das Militär, genauer die Kavallerie im Zentrum des Geschehens. Hatten sich die Franconis und Cuvelier mit General Marlborough, Marschall Turenne oder Mazeppa historischen Figuren zugewandt, so widmeten sie sich 1819 in „Poniatowski oder der Sprung über die Elster“ der aktuellen Zeitgeschichte, der Völkerschlacht bei Leipzig. Daneben popularisierte der Olympia-Zirkus Shakespeares Dramen in Stücken wie „Macbeth oder die Hexen aus dem Wald“ im Jahr 1817 und 1818 „Der Maure aus Venedig oder Othello“.[2] Hatte es Szenen aus Shakespeare-Dramen bereits in den Londoner Zirkussen gegeben und waren die Englischen Komödianten die wohl energischsten Parodisten Shakespeares auf dem Kontinent gewesen, so sollten sich entsprechende komische Szenen auch noch im Repertoire des Berliner Zirkus Renz finden.
(Dieser Abschnitt verdankt der polnischen Theaterwissenschaftlerin Janina Hera und dem Zirkushistoriker Joseph Halperson wichtige Impulse und Informationen.)