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Die Pantomimen des Circus Busch und das Ende des Genres

Zirkuspantomimen zählten zwar zum festen Bestandteil der Vorstellungen seit Astley, doch wurden sie immer wieder unterschiedlich gestaltet. Dabei unterlagen sie spezifisch zirzensischen Transformationen, theatergeschichtlichem bzw. allgemeinem Medienwandel und zeitgeschichtlichen Modernisierungsprozessen. Das Pferd verlor im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im Alltag und im Zirkus seine zentrale Rolle. Mit den Trapezkünstlern, Hochseilartisten bzw. Luftakrobaten hatte sich der bespielbare Raum seit den späten 1850er Jahren sukzessive erweitert. Das Sprechverbot an populären Bühnen verschwand in Gänze und die Clownfiguren erhielten völlig neue Gestaltungsspielräume. Mit den Varietés, Music Halls und Wandermenagerien waren dem zirzensischen Medium ernsthafte Konkurrenten entstanden. Industrielle und technische Entwicklungen, sozialer Wandel, Urbanisierung etc. erforderten neue Anpassungsleistungen und boten zugleich neue Chancen. Seit 1871 war Deutschland Nationalstaat und Kaiserreich; im Verlauf der 1880er Jahre wurde es dann auch Kolonialmacht. Die Eröffnung des Suezkanals erleichterte den Tierhandel; Carl Hagenbeck wurde zum vermutlich bedeutendsten Lieferanten so genannter Exoten oder Wildtiere – diese Bezeichnung soll Löwen, Elefanten etc. von Haustieren oder domestizierten Tieren wie Hunden, Katzen, Schweinen, Pferden etc. unterscheiden, die an den Menschen gebunden oder gewöhnt sind. Waren Elefanten, Löwen etc. auch schon gelegentlich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts im Zirkus zu sehen, so wurden sie erst an seinem Ende zur regulären Programmnummer. Jetzt erst löste der ‚Raubtier- und Exotenzirkus‘ den Pferdezirkus allmählich ab, weil Pferdenummern nur noch die Hälfte (oder weniger) des Programms bestimmten.

All das hat die Pantomimenproduktion des Circus Busch beeinflusst. Hinzu kam die Architektur der Zirkusgebäude. Im Berliner Haus, das Busch im Jahr 1895 eröffnet hatte, war der Manegenboden versenkbar, was technisch aufwändige Inszenierungen ermöglichte. Die Manege ließ sich fluten; eine Wasserrutschbahn für die Tiere konnte installiert werden und eine Stadt, Vineta, im Wasser versinken. Technisch ließen sich Donner, Blitze, ganze Gewitter erzeugen. Wasser, Licht und Elektrizität gab es zwar bereits beim alten Renz, aber die Buschs waren angetreten, all das in Dimension und Raffinement zu überbieten. Gerade kam das neue Medium Film auf – im Rahmen der Berliner Gewerbeausstellung 1896 und im Varieté zeigte Max Skladanowsky seine kurzen Aufnahmen; das Boxende Känguru gehörte zu den ersten Sensationen –, weshalb es galt, die Stärken des zirzensischen Mediums zu pointieren. Anfangs hatte der Film weder Ton und Farbe noch die Möglichkeit, Geschichten zu erzählen (das anspruchsvolle Erzählkino entwickelte sich erst um 1910). Licht, Farben, Wasser und Geräusche waren die wichtigsten Effekte, die sich, eingebunden in Geschichten, wie dürftig sie auch immer waren, wirkungsvoll in Szene setzen ließen. Damit haben sich die Buschs in der damaligen Reichshauptstadt Berlin profiliert.

Seit den 1890er Jahren begleiteten Buschs Pantomimen schmale Programmhefte, die am Ende des Jahrhunderts farbige Titelbilder bekamen. Auch Pantomimen im Circus Renz hatten zuletzt Programmhefte mit schwarz-weißem Titelbild. Doch die Buschs schienen mit ihrem farbenfrohen Begleitmaterial eine Marktstrategie verfolgt zu haben. Die Heftchen kosteten zwischen 10 und 15 Pfennig (in den 1920er Jahren, der wirtschaftlich mit Abstand schwierigsten Zeit, auch schon mal eine Mark), enthielten oft eine kurze Einführung ins Sujet der Pantomime und beschrieben anschließend die Handlung. Sinnvoll war das erst unter der Bedingung, dass ein überwiegender Teil der Zuschauer alphabetisiert war. Die Handlungsbeschreibung gab nicht wieder, was in der Manege zu sehen war, sondern wie die Buschs die aufgeführte Story und die Figuren verstanden wissen wollten, das heißt, sieformulierten die Bedeutung – die Signifikanz – aus und nicht das Zeichenprogramm der Darstellung. Auskunft geben die erhaltenen Programmhefte darüber, wie die Buschs über das von ihnen gewählte Sujet dachten und fühlten, wie sie ihre Figuren, Konfigurationen und Konstellationen entwarfen, welche Funktionen Requisiten, Dekorationen und auch die Tiere jeweils hatten. Über die Darstellung und Darstellungsweiseselbst erfährt man aus den Heften nichts. Zirkusvorstellungen waren um 1900 in der Berliner Tagespresse wie andere Bühnenvorstellungen Gegenstand von Kritiken und man kann daher auch etwas über die Rezeption erfahren, wenn man zu lesen weiß. Doch wie bei allen transitorischen Medien bleibt hier die historische Aufführungsanalyse ‚Schnipselarbeit‘, die neben theaterwissenschaftlichem Handwerk die Erschließung des kultur- und mediengeschichtlichen Kontexts erfordert.

Dramaturgisch hatten die Pantomimen eine wiederkehrende Struktur: Einzel- und Massenszenen wechselten einander ab, gruppiert um akrobatische Aktionen; Verfolgungsjagden, Kampf-, Raub- und Tanzszenen erhöhten und dämpften jeweils die Spannung. Oft gab es am Ende ein „Apotheose“ genanntes Schlussbild (wie im Barocktheater), das die Botschaft visuell – zumeist durch allegorische Figuren und Konstellationen – verdichtete und beschloss. Man darf sich das vorstellen wie ein lebendes Bild. Nur dass sein Inhalt kein berühmtes Gemälde, Denkmal oder Foto zeigte, sondern ein eigens kreiertes Figuren- bzw. Zeichenensemble darstellte. Dergleichen war in Deutschland seit Goethes „Faust II“ populär; die im DeutschenKaiserreich sprichwörtlich gewordene ‚Denkmalseuche‘ besonders in der Reichshauptstadt Berlin – hat die Fantasie vieler im populärkulturellen Bereich umtriebiger Unternehmen gewiss ungemein beflügelt. Die einzelnen Szenen der Zirkuspantomimen hießen Bilder und die einzelnen Bilderfolgen wie bei Bühnenstücken oft Akte. Selbstverständlich gebrauchten die Skriptverfasser die Termini, das heißt das heutige theaterwissenschaftliche Vokabular, nicht nach dem Lehrbuch, weshalb man sie besser nicht auf ihre Genauigkeit hin prüft. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts zählte das Ballett – ein ‚corps de ballet‘ –zur festen Einrichtung. Die Kostüme spielten bei Busch eine große Rolle. Paula Buschs Memoiren zufolge verfügte das Unternehmen zumindest nach 1900 über eine eigene Kostümschneiderei und einen entsprechenden Fundus; historische Genauigkeit spielte – wie bei den zeitgenössischen Theater- und Opernbühnen generell – eine nachgeordnete Rolle. Zur Ausstattung gehörten das Bühnenbild, die Kulissen, Requisiten, kurzum die Dekoration. Was zählte, war der Eindruck. Woher bezog man die Sujets? Aus Tageszeitungen und Zeitschriften, aus Romanen, Märchen, Sagen, Legenden, Theaterstücken, Opern, Operetten, Revuen und Groschenheften.

Oft wurden Buschs Pantomimen bereits in den Vergnügungsanzeigen mit ihren Höhepunkten und Sensationen beworben; ein gutes Beispiel ist das Manegeschaustück „Persien“ von 1898. Die Zirkusvorstellung wurde als „High-life-Abend“ angepriesen und ihr Höhepunkt sollte der „Sturz des persischen Prinzen mit dem Pferde von hoher Felsenklippe ins Wasser“ sein, wie es am 22. November 1898 im liberalen Berliner Tageblatt hieß; im Programmheft war sogar von einem „Todessprunge“ die Rede. Die Buschs nutzten die Bühnentechnik und den Raum, um die bestmöglichen Effekte zu erzielen. War das in der Pantomime „Ludwig XIV.“ das Wasser und das Licht, so in „Zscheus, das Waldmädchen“ die Möglichkeit, Lichtbilder zu projizieren. Plot wie Story dienten einzig dazu, diese Sensationen zu umkleiden. „Zscheus“ hatte im November 1895 Premiere und war insofern bemerkenswert, als nicht nur schwimmende Elefanten und Pferde zu sehen waren, sondern die Titelfigur Zscheus, eine indische Fürstentochter, von Affen geraubt und nach fünfzehn Jahren wiedergefunden wird. Doch gerade diese Beziehung zwischen Mensch und Tier gestaltete die Pantomime nicht. Das Affenpaar, das Zscheus geraubt, aufgezogen und beschützt hatte, wird von englischen Offizieren erschossen. Die Fürstentochter muss an „menschliche Formen“, den „Umgang mit Menschen“ gewöhnt und aus dem „tiefen Dunkel tierischen Vegetierens“ ins „Sonnenlicht menschlichen Fühlens und Denkens“ geführt werden; die Differenz zwischen Mensch und Tier war im Zirkus faktisch eine streng hierarchische und auf die menschliche Dominanzposition hin zentriert. Anstatt wie Astley spielerisch diese Dominanz umzukehren, wurde sie zementiert; fortan stellten die Buschs demonstrativ die Überlegenheit erstens des Menschen gegenüber dem Tier und zweitens die des weißen (zumeist christlichen) Europäers gegenüber Nichteuropäern zur Schau. Zscheus musste in der Pantomime ‚zivilisiert‘ und ‚kultiviert‘ werden. Der „Gouverneur von Calcutta“ wies sie anlässlich eines Fests in die „Weltgeschichte“ ein: Die „Geschichte und Entwicklung Europas, von dem auch Indien seine Kultur übernommen hat“, stand auf dem Programm; in einem „grandiosen Festzuge“ zogen die „Repräsentanten der fünf Erdteile und in historischen Bildern die wichtigsten Momente der Weltgeschichte“ an Zscheus vorüber: „in großen Gruppen präsentieren sich die Aegypter, die Griechen, die Römer und alle historischen Völker von der Völkerwanderung bis zur Gegenwart“, eine grosse Völker-Apotheose und ein Nationalitäten-Ballet“ beschlossen das „Bild“. Der Gouverneur setzte seine „originelle Belehrungsmethode“ mit „magischen Lichteffekten“, farbigen Lichtbildern am Manegenhimmel fort. Am wichtigsten waren den Buschs und wahrscheinlich auch dem Publikum das menschliche Beziehungsgeflecht, die Anzahl der Mitwirkenden (300) und der technische Aufwand. Es gab Vögel, Libellen, Schmetterlinge – Akteure in entsprechenden Kostümen – sowie allegorische Figuren.

Nicht weil gesprochen wurde, lief die Zirkuspantomime Gefahr, ihr Spezifikum zu verlieren, sondern weil die Tiere kaum noch als tragende Handlungsakteure einbezogen wurden und lediglich die Potenz von Technik und Bühnenapparatur zu illustrieren und zu spiegeln hatten, gerieten die Manegenspektakel zunehmend unter den Konkurrenzdruck von Film und anderen darstellenden Medien. Indien war als Schauplatz von Pantomimen nicht einfach nur exotisch, sondern als britische Kronkolonie auch Gegenstand der Tagespolitik. Da das Deutsche Kaiserreich besonders unter Wilhelm II., das heißt nach 1888 und nach der Abdankung Otto von Bismarcks als Reichskanzler 1890, mit dem britischen Königreich als Kolonialmacht rivalisierte, nahmen in den Programmheften die antibritischen Töne zu. Für „Zscheus“ gilt das noch nicht, aber die Pantomime „Indien“ (1905/06) buchstabierte diese Züge deutlich aus. 1921inszenierte das nun von Paula Busch geführte Zirkusunternehmen „Die Schlange der Durga. Ein indisches Fabelspiel, zum Manege-Schaustück bearbeitet und verfasst von Paula Busch und Paul A. Kirstein“. Neben den üblichen Verfolgungsjagden gab es hier die Hindus und den Kult um die grausame Göttin Kali, die nach dem Menschenopfer verlangt, aber von der guten Göttin Durga und ihrer Schlange überwunden wird; als Tier im Mittelpunkt stand eine Riesenschlange, die von Paula Busch in der weiblichen Hauptrolle gebändigt worden war. Das Manegeschaustück „Nena Sahib oder Die Verschwörung in Indien“(1940) hatte wieder direkt die „englische Gewaltherrschaft“ in Indien und das Aufbegehren dagegen zum Thema – das nationalsozialistische Deutschland befand sich im Krieg mit Großbritannien. Das entsprach der Doppelstrategie, dem Muster, dem die offizielle Politik bereits im wilhelminischen Kaiserreich folgte: Man unterstützte die jeweils indigenen Akteure in ihrem Kampf gegen die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich, während man zugleich Kolonien erwarb oder ersehnte und dort entsprechend als seinerseits gewalttätige Kolonialmacht auftrat.

Kolonialpantomimen im engeren Sinn haben die Buschs nur zwei produziert und erfolgreich aufgeführt: „Süd-West-Afrika“ im Jahr 1904, das den Aufstand der Herero und den Vernichtungsfeldzug der deutschen Schutztruppen verharmlosend darstellte und dabei den faktischen Völkermord an den Herero unterschlug, sowie „Aus unseren Kolonien“ im Jahr 1913. Beide Stücke folgten der zirzensischen Regel, Dressur und Posse zu verflechten, die Domestizierung von ‚Exoten‘, Wildtieren und schwarzen Menschen zu parallelisieren und ein rassistisches Kontrastprogramm zu entwerfen, das weiße Deutsche als überlegen und siegreich, Schwarze jedoch als aufsässig und erziehungsbedürftig vorführte. Dadurch hatten die beiden Manegeschaustücke, ob gewollt oder nicht, eine legitimatorische Funktion. Gleiches gilt für die in ihrer deutschnationalen Programmatik heute nur noch schwer nachvollziehbaren, schon gar nicht mehr zu rechtfertigenden Pantomimen vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg: „Armin“ (1910) – das Gesellenstück von Paula Busch –, das die Varusschlacht und ihr gerade absolviertes Jubiläum sowie die Bismarcksche „Blut und Eisen“-Politik feierte, das Kriegspropagandastück „Michel“ (1915), das u. a. mit den Wappentieren Hahn (Frankreich), Bär (Russland), Löwen und Leoparden (England) spielte, in feldgrau gekleideten deutschen Soldaten das gründlich missverstandene Wort Friedrich Nietzsches vom „Übermensch“ verkörpert sah und die Vorkriegslegende von der angeblichen ‚Einkreisung‘ Deutschlands durch andere europäische Staaten kolportierte; zuletzt „Die Nibelungen“ (1921) im Hamburger Zirkusgebäude, womit Paula Busch der „Nibelungen-Renaissance“ (Alfred Döblin) voranging, die in den 1920er Jahren Bühne und Leinwand (Fritz Lang) ereilte, sowie pünktlich zur Ruhrkrise, die der Einmarsch französischer und belgischer Truppen ins Ruhrgebiet veranlasst hatte, das historische Manegeschaustück „1806“ (1923). Zwei weitere Schaustücke verherrlichten Friedrich II.: „Fridericus“ (1924) und „Es klappert die Mühle von Sanssouci“ (1926). All diese Stücke kommentierten das Zeitgeschehen auf ihre Weise und der Circus Busch lag mit diesen Themen im Trend des Bühnen- und Leinwandlebens der Weimarer Republik.

Die Gefühls- und Gedankenwelt der Buschs und ihrer Mitstreiter war alles andere als singulär. Anders sind die Rache- und Revanchebedürfnisse, die zur Abschaffung der liberalen Demokratie und zur Wahl der NSDAP führten, schwer zu erklären. Offen antisemitisch haben sich die Buschs zwar nicht exponiert – der Aufkauf von Zelt, Material und Tieren des Circus Strassburger, der vor antisemitischen Attacken Mitte der 1930er Jahre nach Belgien flüchtete, war zwar unethisch, verhinderte aber zumindest den Zugriff durch das NS-Regime -, doch bereits 1927 war mit „Ben Hur“ eine explizit als jüdisch ausgewiesene, fiktive Titelfigur in Buschs Manege gekommen und damit eine populärkulturelle Variante der christlichen „Judenmission“. „Ben Hur“ war von Paula Busch und Adolf Steinmann nach dem Roman von Levis Wallace entworfen worden und endete mit der Anerkennung des „Messias“ durch die fiktiven Juden, folglich ihrer Christianisierung. Einige der jüdischen Figuren trugen judenfeindliche Züge, kolportierten Verschwörerisches und Gewaltbereitschaft, folgten im Ensemble mit der Familie des Judah Ben Hur der christlichen Lesart jüdischer Geschichte zur Zeit der römischen Besatzung Jerusalems.

Der Historismus des 19. Jahrhunderts und der Kult um die große Persönlichkeit hatten bereits in Buschs Pantomimenproduktion während des Kaiserreichs Spuren hinterlassen: Mit „Katharina II.“ (1904), „Nero“ (1906), „Rom“ (1907), „Barbarossa“ (1908) oder „Pompeji“ (1913) waren Sujets gewählt worden, die sich für pompöse Inszenierungen eigneten und denen sich auch der Ausstattungs-, Kostüm- und Historienfilm später zuwandte (noch weit bis in die 1950/60er Jahre). Doch bestand das Pantomimenrepertoire der Buschs, das um die 120 Produktionen umfasste, aus sehr viel mehr als nur exotischen, orientalistischen, kolonialen oder historistischen Sujets. Es gab Stücke mit Rittern, mit Mantel- und Degengeschichten, Geschichten um Zauberer wie Cagliostro, Goldsuchergeschichten, Wildwestabenteuer, Sagen um Seefahrer wie Störtebecker, Berliner oder Wiener Lokalkolorit, Landschaftsbilder aus den Alpen, von Neckar, Rhein und von der Hallig, Märchen wie Aschenbrödel, Opern wie Carmen, Geschichten um das Meissener Porzellan, Revuehaftes oder der technischen und gesellschaftlichen Moderne angepasste Manegestücke wie „Vicky wettet um die Welt“, in dem die Titelheldin Miss Vicky Fogg, um dem Excentrik-Club angehören zu können, in atemberaubendem Tempo um die Erde reist und dabei gefährliche Abenteuer erlebt und besteht.

Ab 1934 war der Berliner Busch-Bau behördlich gesperrt. Eine der letzten dort gezeigten Manegeschaustücke war „Tarzan“ mit einer zirzensisch inszenierten Dschungelwelt aus Löwen, Elefanten, Zebras etc. All das aber konnte das Medium Film inzwischen plastischer darbieten, spannungsreicher aufbereiten und durch Montage und Schnitt dramaturgisch effektvoller erzählen. Das Hamburger Zirkusgebäude hatte Paula Busch längst zum Circus-Varieté umgestalten lassen, doch wurden hier noch bis 1940 Manegeschaustücke aufgeführt. Die letzte Pantomime zeigte Paula Busch 1948. Der Zeltbetrieb, auf den sie durch den Verlust aller ihrer Häuser angewiesen war, eignete sich nicht für aufwändig inszenierte Schaustücke.

Weshalb aber ging das Genre der Zirkuspantomime schon um1910 seinem Ende entgegen? Das kalkulierte Schuljungendeutsch, in dem Alfred Döblin im „Sturm“ die Pantomime „Marja“ besprach, verwies auf nur einen von vielen Faktoren: Inzwischen gab es neben den Boulevardbühnen genügend andere populäre Medien für unterkomplex aufbereitete Stoffe – und in „Marja“ traten laut Programmheft zwar Wölfe und laut Döblin Elefanten auf, aber sie hatten keine handlungstragende Rolle, waren keine zentralen Akteure und ihre Funktion war bloß illustrativ und dekorativ. Das war zur Hochzeit des Circus Renz noch nicht existenzgefährdend, denn damals gab es weder Film noch Varietétheater, die den Clowns, Dompteuren und Akrobaten alternative und entschieden attraktivere Verdienstmöglichkeiten boten. Sowohl Kunstreiter, die als Stuntmen in Westernfilmen mitwirkten, als auch Tiertrainer, die mit Löwen, Leoparden und Elefanten arbeiteten, waren begehrte Akteure für Spiel- und Tierfilme. Das spezifisch Zirzensische – das Zusammenspiel mit den Tieren und das Akrobatische – wurde den mit ihren klaren Botschaften ohnehin weniger ästhetischen Manegeschaustücken untergeordnet. Es ist auch kein Zufall, dass die von Paula Busch in den 1920/30er Jahren gewählten Pantomimensujets – „Die Nibelungen“, „Fridericus“, „Ben Hur“ oder „Tarzan“ – oft Stoffe von Stumm-, später Tonfilmen wurden. Der Erbe der historischen Bühnenpantomime wurde ab 1914 Charlie Chaplin mit seiner Figur des Trampclowns – der berühmte Clowns wie Charlie Rivel und Karandasch inspirierte – und seinen Stummfilmen. Selbst auf den Boulevardtheatern hatten Pantomimen nach 1900 kaum noch Erfolg. Um der Zirkuspantomime Anziehungskraft zu verleihen, hätte sich Paula Busch auf das Spezifische des Zirzensischen konzentrieren müssen. Ihre Pantomimen indes geben mehr Auskunft über die speziellen Gedanken- und Gefühlswelten vieler ihrer Zeitgenossen als über das neue Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Darum war die Zirkuspantomime zu Beginn des 20. Jahrhunderts schließlich am Ende.