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„Post“-Sachen

Das inflationäre Versehen von Nomen wie „Moderne“, „Strukturalismus“, „Demokratie“, „Nationalsozialismus“, „Holocaust“ oder „Kolonialismus“ mit der Vorsilbe „post“ mag trendy wirken, ist tatsächlich aber erstens inzwischen sinnentleert und zweitens mehr als ein halbes Jahrhundert alt, mithin keineswegs originell, trendig oder gar innovativ. Im Gegenteil. In den Debatten an deutschen Universitäten während der neunziger Jahre sollte hinreichend deutlich geworden sein, dass „Postmoderne“ zunächst einen Architekturstil der fünfziger Jahre bezeichnete und später eine bestimmte Denkrichtung, die im Umkreis der französischen Studentenbewegung an westlichen Universitäten Fuß fasste.

Der „Poststrukturalismus“, der untrennbar mit dem Namen Jacques Derrida verbunden ist, verabschiedete die zuvor für etwa zwanzig Jahre im akademischen Milieu beliebte geisteswissenschaftliche Denkrichtung des Strukturalismus mit seinen klaren Oppositionen wie oben/unten, Oberfläche/Tiefe oder Innen/Außen. Die Vorsilbe „post“ bedeutete hier, dass man den Strukturalismus zugleich überwindet und weiterdenkt. Es war immer eine vor allem akademische Angelegenheit, auch wenn sie sich seit den 68ern mit politischen Weltverbesserungsansprüchen verband. Roland Barthes hatte damit nichts zu schaffen. Pierre Bourdieu auch nicht und selbst Michel Foucault gehörte nie dazu. Frauen finden sich nur wenige unter ihnen: Julia Kristeva und Sarah Kofman wären zu nennen. Die Feministinnen Helene Cixous und Luce Irigaray kann man gleichfalls nur entfernt und über Umwege dazurechnen.

Die keineswegs leicht verständlichen Bücher Jacques Derridas dürften die heute an deutschen Universitäten Lehrenden, die sich nach eigenen Aussagen und sehr plakativ dem Poststrukturalismus und Postkolonialismus verschrieben haben, überwiegend nicht gelesen, geschweige denn verstanden haben. Nachfragen von Kolleginnen und Kollegen haben sie vermutlich nicht zu befürchten. Von Journalisten der öffentlich-rechtlichen Medien, die sie auffallend oft bestätigend interviewen, erst recht nicht. Wenn überhaupt beziehen diese Stelleninhaberinnen und Stelleninhaber ihre Kenntnisse aus den Büchern Judith Butlers. Die sind allerdings keineswegs ausreichend, die Drehungen, Wendungen, Verästelungen und einem Schachspiel ähnelnden Gedankensprünge, -gänge und -figuren Derridas auch nur im Ansatz zu folgen. Die noch Denkfauleren borgen ihre geistlosen Schablonen aus der Überfülle an Aufsatzsammlungen, Übersichtsdarstellungen, Tagungsberichten etc.pp Mit Wissenschaft hat all das herzlich wenig zu tun.

Derridas Bücher waren auch nie dazu gedacht, eins zu eins Anwendung in den Politik- und Sozialwissenschaften zu finden und ebenso wenig in der Geschichtswissenschaft oder gar in der Politik. Postmoderne und poststrukturalistische Denkmodelle sollten an den Universitäten einer kritischen Revision unterzogen werden. Das setzt voraus, dass es dort erstens kundiges Lehrpersonal gibt, das diese Denkrichtungen verstanden hat und einordnen kann, und dass es zweitens Lehrpersonal gibt, das diese Denkrichtungen ausdrücklich nicht vertritt. Andernfalls werden hiesige Universitäten politisch-ideologische Kaderschmieden, wie es sie flächendeckend im ehemaligen Ostblock bis 1989 gegeben hat.