Zum Inhalt springen

Struktureller Rassismus in der Bundesrepublik?

Alltagsrassismus gibt es hierzulande wie Sand am Meer. Doch ist das  ein strukturelles Problem? Anders gefragt: Ist Rassismus in den bundesdeutschen Institutionen, der Gesetzgebung, den Verfahren und Abläufen in Behörden, Bildungseinrichtungen oder im Gesundheitswesen verankert? Befürworter*innen von Identitätspolitik bejahen das ausdrücklich. Aber überzeugen ihre Behauptungen? Ein Text im Internet versammelt dafür Beispiele und holt dazu Expertenmeinungen ein: https://mediendienst-integration.de/artikel/was-ist-struktureller-rassismus.html

Der Reihe nach. Der Erwerb der Amtssprache des Landes, in das man einwandert, ist weder allein noch in erster Linie Sache staatlicher Fürsorge. Wandert ein Erwachsener nach Polen oder Finnland oder Schweden ein, kann er dem jeweiligen Staat nicht anlasten, schuld an mangelnder Sprachkompetenz seiner jeweils dort geborenen Kinder zu sein, deren Muttersprache die jeweilige Amtssprache sein sollte. Hört und liest der Einwanderer ausschließlich deutsche Medien und spricht mit seinen Kindern ausschließlich Deutsch, hat das schlechte Polnisch, Finnisch oder Schwedisch seiner Kinder nichts mit einem in diesem Fall fantasierten Rassismus der polnischen, finnischen oder schwedischen Aufnahmegesellschaft, gar der dortigen Bildungsinstitutionen zu tun. Die Erwartung, dass einem die Eigenverantwortung und Eigeninitiative abgenommen werden, ist ebenso infantil wie die mangelnde Bereitschaft zum Spracherwerb. Nicht alle Muttersprachler eines Landes besuchen das Gymnasium. Zu behaupten, dass mangelnde staatliche
Sprachförderung der Grund dafür sei, dass Kinder von Einwanderern an Gymnasien unterrepräsentiert wären und dies Ausdruck von strukturellem Rassismus sei, ist abenteuerlich. Es impliziert, dass die Kinder in den Herkunftsländern ihrer Eltern durchweg höhere Schulen besuchen, höhere Bildungsabschlüsse erwerben und beachtliche berufliche Stellungen erlangen würden. Wäre dem so, entfiele in vielen Fällen der Grund zur Migration. Institutionellen Rassismus als entscheidenden Faktor für mangelnden Bildungserfolg zu unterstellen, entbehrt empirischer Grundlagen. Bei verstetigter Bildungsferne spielen soziale Faktoren und die Einstellung der Eltern eine entschieden gewichtigere Rolle. Soziale Mobilität über eine erfolgreiche Bildungskarriere haben viele Kinder aus nichtakademischen Elternhäusern und viele Einwandererkinder gerade aufgrund der zwar immer verbesserungswürdigen, aber grundsätzlich sozialen Durchlässigkeit des bundesdeutschen Schulsystems an den Tag gelegt. Das weist einen strukturellen Rassismus ebenfalls ins Reich der Fantasie. Im Übrigen gibt es neben dem Gymnasium weitere Möglichkeiten, eine Hochschulreife zu erwerben und zugleich eine Berufslaufbahn einzuschlagen. Ebenso fragwürdig ist die Behauptung, Einwanderer würden in Ermangelung von Dolmetschern in Arztpraxen und aufgrund mangelnder Sprachkompetenz gesundheitlich schlechter versorgt. Wenn ich mich in Finnland niederlasse und erkranke, kann ich nicht erwarten, dass mir das finnische Gesundheitswesen einen Dolmetscher zur Verfügung stellt und mich für rassistisch diskriminiert erachten, weil ich es unterlassen habe, entweder die nötige Sprachkompetenz zu erwerben oder aber einen mir vertrauten Menschen als Dolmetscher zu engagieren, um einem finnischen Arzt meine gesundheitlichen Nöte verständlich zu machen. Für Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylsuchende mag das Szenario ärztlicher Unterversorgung infolge mangelnder Sprachkenntnisse anfänglich gelten, hat aber auch hier nichts mit strukturellem Rassismus zu tun, sondern mit Koordinationsdefiziten in der Flüchtlingshilfe.

Der Kanon allgemeinbildender Schulen verändert sich im Laufe der Jahrzehnte ununterbrochen, entspricht aber – warum sollte das anders sein – europäischen und säkularen Standards. Schwerpunkte sind die bei einer über 1700jährigen Ansässigkeit von Juden dennoch christlich geprägte Landesgeschichte einschließlich der Beziehungsgeschichten mit europäischen Nachbarn. Es handelt sich nicht um ‚Nationalgeschichte‘. Der Investiturstreit, die Hanse, der Westfälische Friede, der Siebenjährige Krieg oder die Karlsbader Beschlüsse fügen sich in kein ’nationalistisches Narativ‘. Zentrale Inhalte sind der Erste Weltkrieg, die NS-Diktatur, der Holocaust und der Zweite Weltkrieg, die SED-Diktatur und die bundesrepublikanische Demokratie. Auch die Evolution gehört dazu. Künftig sollte dies auch die Kolonialgeschichte tun, aufbereitet entlang historischer Fakten. Man kann überlegen, das eine oder andere hinzuzufügen. Da wir seit über einem halben Jahrhundert Einwanderung aus allen Teilen der Welt  erleben, will die Auswahl zusätzlicher Stoffe gut überlegt sein. Als sich vor fast 15 Jahren eine Berliner Schule in Absprache mit ihren Schüler*innen und der Elternvertretung entschied, auf dem Schulgelände nur noch Deutsch zu sprechen, um niemanden der Einwandererkinder aus aller Herren Länder auszuschließen, hagelte es seitens der GRÜNEN Rassismusvorwürfe. Nicht diese haltlosen Vorwürfe sind relevant, die nur zeigten, dass manche GRÜNEN-Politiker das zugrundeliegende Problem nicht verstanden hatten, sondern die Tatsache, dass wir einen transkulturellen Rahmen als gemeinsame Klammer für unsere Vielfalt benötigen. Unsere Vergangenheit ändert sich nicht dadurch, dass unsere Gegenwart immer diverser wird. Schulunterricht muss Fakten vermitteln und vor allem das kritische Denken fördern. Schulunterricht ist nicht dazu da, Identifikationsangebote zu unterbreiten oder zufriedenstellende kollektive Selbstbilder zu erzeugen, auch wenn sich das die Höckes, Gaulands oder Erdogans dieser Welt erträumen. Struktureller Rassismus ist bei den schulischen Bildungsinhalten ebenso wenig zu entdecken wie unter Wissenschaftlern, die keine Namen afrikanischer Philosophinnen zu nennen vermögen. Ganz einfach, weil nicht die Herkunft, die Hautfarbe oder das Geschlecht, sondern das Werk oder der Beitrag von Wissenschaftler*innen darüber entscheiden, ob sie auf die Literaturliste eines Universitätsseminars gehören oder nicht.

Abschließend zum racial profiling, dass in der Bundesrepublik verboten ist und allein schon deshalb kein Beispiel für strukturellen Rassismus abgeben kann. Dass es auch lagebildunabhängig häufiger vorkommt, ist Ausdruck von Alltagsrassismus.

Ein unwissenschaftlicher, einem merkwürdigen Kulturkampf-Konzept verpflichteter Begriff wie „Kulturrassismus“ ist ein politisch-ideologisches Instrument, um eine Bevorzugung zu erzwingen. Der gleichfalls unwissenschaftliche Begriff des „antimuslimischen Rassismus“ ist jenem Konzept nachempfunden. Seine Befürworter*innen verfolgen das Ziel, Religionskritik zu unterbinden und Muslime in westlichen Gesellschaften faktenwidrig als Opferkollektiv darzustellen. Nachdem die europäischen Gesellschaften sich sehr langsam von Kategorien wie Hautfarbe, Herkunft, Rasse, Klasse, Ethnie und Religionszugehörigkeit zu emanzipieren begonnen haben, führen Identitätspolitiker*innen sie wieder ein und versuchen sie mit der Behauptung gezielter Benachteiligung aufgrund ebendieser Kategorien zu zementieren. Das rechtsextreme Konzept des Ethnopluralismus wird hier von linker Seite nach innen gewendet und auf die westlichen Gesellschaften der einzelnen Nationalstaaten appliziert. Hochqualifizierte Authochtone befinden sich häufig in einer ähnlich prekären Lage wie die Hochqualifizierten mit „Migrationshintergrund“. Das hat seinen Grund im bislang schlecht bewältigten Strukturwandel der Arbeitswelt und nichts mit Rassismus zu tun, schon gar nicht mit strukturellem. Niemand wird bestreiten, dass vielerorts oft nach dem similar to me-Prinzip (auch politisch-ideologisch!) oder nach Funktionalität und nicht nach Leistung eingestellt wird. Das ist insofern fatal, als nur das Leistungsprinzip Qualität garantiert. Dagegen haben wir aber Antidiskriminierungsgesetze und die Vierte Gewalt.