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Wie wäre es mit der Einführung des Berliner Neutralitätsgesetzes auf Bundesebene, Genosse?!

Nach dem Mord an Samuel Paty hat sich ein junger SPD-Grande auf Spiegel-online zu Wort gemeldet: Kevin Kühnert bezeichnet den politischen Islam zu Recht als „blinden Fleck“ der Linken, behauptet aber zugleich die nüchterne Feststellung dieses Tatbestands käme als Vorwurf stets aus der tiefbraunen Ecke und das ist falsch. Hellsichtigere Linke von den Grünen über die SPD bis hin zu parteilosen Demokraten gleich welcher Herkunft oder gar Konfession warnen seit mehr als zwanzig Jahren vor einer gefärlichen Allianz, vor ideologischer Blindheit und vor einer Bagatellisierung des politischen Islam. In ihren Parteien gelten diese Warner bis heute als unbequem oder als Dissidenten – ich rede gewiss nicht von Thilo Sarrazin -, als „islamophob“ oder als „rassistisch“. Lale Akgün, Seyran Ates, Heinz Buschkowsky oder Johannes Kandel sind ja wohl weder „tiefbraun“ noch Amateure.
Wenn Du, lieber Genosse Kühnert, jetzt den politischen Islam als Problem entdeckst, das Dir zuvor in Deutschland entgangen war, dann ist das begrüßenswert. In Frankreich oder Großbritannien pfeifen es die Spatzen seit den 1990er Jahren von den Dächern, in Belgien, den Niederlanden (islamistischer Mord an Theo van Gogh), Dänemark oder Schweden und auch in Deutschland allerspätestens seit Mitte der Nullerjahre. Auch darum entstand das Berliner Neutralitätsgesetz. Es sollte nicht erst jemand ermordet werden müssen, damit Politiker zu handeln beginnen und das Säkularitätsprinzip verteidigen.

Worin besteht überhaupt die Allianz zwischen Linken und dem politischen Islam? Erstens in einer schon immer fragwürdigen Dritte-Welt-Ideologie, die Muslime als unterprivilegiertes Kollektiv versteht, dass sie außer während der französischen und britischen Kolonialzeit in Nordafrika nirgends gewesen sind. Auch nicht in der Zeit der beiden Völkerbundmandate Frankreichs und Großbritanniens infolge der Kriegsniederlage und des Zerfalls des Osmanischen Reichs. Zweitens besteht diese Allianz im Konzept eines „Antiimperialismus“, der gegen die westliche Welt, nach 1945 vor allem die USA und Israel gerichtet gewesen ist und vom gesamten Ostblock geteilt wurde. Bezeichnenderweise fielen und fallen bis heute dabei der Imperialismus der UdSSR, der des Osmanischen Reichs sowie die islamischen Eroberungen und die Arabisierung Ost- und Nordafrikas unter den Tisch. Mag der Sozialistische deutsche Studentenbund 1970 aufgelöst worden sein, seine Ideologie lebte bei einigen unserer Genossinnen und Genossen weiter und fand – ganz wie in der SED zu DDR-Zeiten – ihren Ausdruck in der lächerlichen Anbetung Jassir Arafats und der PLO, https://www.mena-watch.com/steinmeiers-verneigung-vor-einem-moerder/

Die ungebrochene Palästinasolidarität gehört in dieses Kapitel und erweist die Erklärungen in und zu Israel als Lippenbekenntnisse. Dazu muss man wissen, dass die palästinensische Nationalbewegung auch als säkulare immer eine antiwestliche politische Religion geblieben ist und zum Jihad aufruft. Ein offizielles Bekenntnis zur Muslimbruderschaft wie die „Hamas“ muss die Autonomiebehörde nicht ablegen, um je nach Tagesbedarf switchen zu können. Drittens ist das ethnische, kulturelle und religiöse Gruppendenken für die Ideologien des (französischen) Kommunitarismus und Multikulturalismus, für die die Linke steht, geradezu programmatisch. Die Homogenitätsfantasien, die die Linke bei Rechten bekämpft, praktiziert sie unentwegt selbst, wenn sie Islamkritiker, Agnostiker, Apostaten und Säkulare unter den Muslimen abstraft, ignoriert und kaltstellt, anstatt sie zu fördern! Und die Bundesrepublik ist auch kein Ständestaat, dessen Repräsentanten in einem Proporzsystem die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt der Gesellschaft abbilden müsste wie es einigen Linken vorzuschweben scheint. Viertens erlebte mit dem Aufstieg des politischen Islam seit Ende der siebziger Jahre die Religion als gewichtiger Faktor ein Revival und einen Wiedereinzug ins politische Leben westlicher Gesellschaften. Bei aller Hochachtung vor gläubigen Menschen in der immerhin von Agnostikern und Atheisten gegründeten SPD, befremden mich die neuerdings eifrigen Religionsbekenntnisse von Genossinnen und Genossen zutiefst, denn das sollte ihre Privatsache bleiben. Sei’s drum. Wenn wir aber die religiöse Vielfalt in unserer Gesellschaft erhalten wollen, müssen wir nicht nur ein säkularer Staat bleiben, sondern auch verhindern, dass ein Kampf um die religiöse Hegemonie in staatlichen Schulen und Institutionen ausbricht. Das Berliner Neutralitätsgesetz war und ist dafür das richtige Instrument.

Die SPD war 1919 federführend an der Einführung des Säkularitätsprinzips beteiligt, ohne das die liberale Demokratie auf Dauer nicht funktions- oder überlebensfähig ist. Dieses Prinzip offensiv gegen seine Verächter unter den Linken und gegen die Islamisten zu verteidigen, sollte sich nicht nur von selbst verstehen, es wäre ein erster Schritt, verlorenes Terrain und Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen.